Phaeton und Volkswagen: ein VW-Modell, die Mythologie, Umwelt und Klimawandel

Ein luxuriöses Auto-Modell von Volkswagen (VW) wurde Phaeton genannt. Unkenntnis oder unfreiwillige Selbstkritik? Denn Phaeton, eine Figur aus der griechischen Mythologie, hat dort einen Wagen geschrottet und dabei noch die halbe Umwelt vernichtet. Nicht gerade ein gelungenes Vorbild für die Benutzung eines Autos.

Also was, in aller Götter Namen, hat Volkswagen veranlasst, trotz der Katastrophe sein Flaggschiff-Auto „Phaeton“ zu nennen? Was genau besagt eigentlich die Sage von Phaeton und seiner Wagenfahrt? Und was aus der Phaeton-Mythologie ist aktuell, in bezug auf VW, auf das Thema Auto, Umwelt und Klimawandel? Was z.B. hat die Mythologie mit dem Diesel-Abgas-Betrug von VW zu tun? In der Tat kann man erstaunlich vieles aus der Phaeton-Mythologie auf das Automodell, den VW-Konzern und den Klimawandel beziehen. Das ist so lustig wie lehrreich. Lass dir im folgenden die alte Geschichte erzählen und gehe den vielen Bezügen zur Gegenwart nach.

Die mythologische Sage von Phaeton

Die mythologische Erzählung von Phaeton stammt aus der griechischen Antike und ist in mehreren Varianten überliefert. Am ausführlichsten und bekanntesten ist die Darstellung des Römers Ovid1, die uns vollständig erhalten ist. Demnach geht die Kurzfassung des Mythos von Phaeton in etwa so:

Phaetons Abstammung

Phaeton war das Resultat einer Liebesnacht zwischen dem Sonnengott Helios und Klymene2, die wiederum mit dem ägyptischen König Merops verheiratet war. Als er heranwächst, bestreitet sein Gefährte Epaphus, dass Phaeton einen göttlichen Vater habe. In heutigen Worten ungefähr so: „Ach ja? ‚Göttlicher Vater‘, klar, hätte ich jetzt an Stelle deiner Mutter auch gesagt. Du glaubst deiner Mami aber auch alles“.3 Phaeton reagiert wie beabsichtigt. Er schämt sich und bittet seine Mutter verunsichert um einen Hinweis für seine Abstammung. Hatte Klymene Mitleid mit ihrem Sohn? Oder war sie nur über ihre eigene Beleidigung empört? Jedenfalls schwört Klymene dem Phaeton, dass Helios persönlich sein Vater sei. Und sie bestärkt ihn, zum Sonnengott zu gehen und sich von ihm die Vaterschaft bestätigen zu lassen.

Klymene. Antike als Themenreservoir des Jugendstils
Klymene (Herkunft unbekannt)

Phaeton zieht also los und trifft Helios in seinem Palast an, wo er gemütlich mit den zahlreichen Göttern der Zeiten und der Jahreszeiten zusammen sitzt. Der heimliche Papa soll, so sagen einige, anfangs not amused gewesen sein; er wollte kein Gossip. Aber bald habe der Vaterstolz gesiegt. Vielleicht etwa so: „Ist er nicht hübsch? Und was für ein intelligentes Kerlchen! – Ganz der Vater halt!“.4 Jedenfalls beweist Helios dem Phaeton seine väterliche Gunst, indem er sagt, dass er einen Wunsch frei habe, egal was. Und er schwört einen göttlichen Schwur, den auch die Götter nicht brechen und nicht zurücknehmen können. Denn selbst die Götter unterliegen den allgemeinen, göttlichen Gesetzen.5

Phaetons Wunsch

Phaeton weiß sofort, was er sich wünscht: einmal den Wagen des Vaters lenken dürfen! Dabei handelt es sich natürlich nicht um ein Auto, sondern um einen von Pferden gezogenen, prachtvollen Wagen. Auf ihm wurde Tag für Tag die Sonne in ihrem Lauf über den Himmel transportiert: aufgehend im Osten, steil aufsteigend im Süden, untergehend im Westen. Diesen Wagen zu lenken war der tägliche Job von Papa Helios, die prächtige Karosse sozusagen sein Dienstwagen. Psychoanalytiker wundert das nicht: Welcher Sohn will nicht so werden wie sein Vater? Zudem gilt ihnen ein Wagen/Auto als psychisches Symbol des Ichs, der Persönlichkeit… Alles klar. Aber hier ist noch etwas Anderes, Besonderes: Phaeton will göttlich sein! Denn nur ein Gott darf diesen Wagen lenken (okay, das ist jetzt beim VW-Modell trotz des stolzen Preises nicht ganz so).

Helios erschrickt und versucht, seinen Sohn davon abzubringen. Er weiß, wie schwierig es auch für ihn als Unsterblichen ist, den Wagen mit den vier unbändigen Pferdestärken im Griff zu haben. Selbst Zeus, der Präsident der Götter, kann das vermutlich nicht. Ein Sterblicher aber wie Phaeton schon mal gar nicht, beschwört er ihn. Wenn er glaube, der Himmel sei voller schöner, göttlicher Orte, so irre er. Der Himmel ist voller Bestien und Gefahren. Und selbst ihn, Helios, überkomme immer noch manchmal die Angst bei der rasanten Fahrt und der schwindelerregenden Höhe. Er fleht Phaeton an, seinen Wunsch noch einmal zu überdenken und abzuändern.

Aber Phaeton beruft sich gnadenlos auf das Gesetz von der Unverbrüchlichkeit des göttlichen Schwurs. So ergibt sich eine merkwürdige Über-Kreuz-Situation: Aufgrund des göttlichen Gesetzes ist ein Gott in die Handlung eines Menschen eingebunden und in der Folge gar von ihm abhängig.6 Außerdem naht schon der Morgen, und selbst ein Gott Helios darf nicht einfach gegen den kosmischen Lauf der Zeit verstoßen: Die Sonne muss pünktlich aufgehen.

Phaetons Katastrophenfahrt

Und so ermahnt der göttliche Vater seinen Sohn Phaeton: Er soll nicht zu viel Gas geben, also den Pferden nicht zu viel Peitsche und „Stachel“. Er soll das Lenkrad, also die Zügel festhalten und nicht aus der Spur geraten. Er soll nicht zu hoch und nicht zu tief steuern, nicht zu weit nach links und nicht zu weit nach rechts abkommen. Das ist nicht nur eine Sammlung guter Regeln für Fahranfänger und Möchtergern-Hamiltons. Der Rat Helios‘ verkörpert vielmehr über die Situation hinaus das übergreifende antike Ideal, die Richtschnur des Handelns: allgemeine Mäßigung in jeder Situation, Vermeidung von Extremen schon bei Zielsetzung und Planung.

Hören heranwachsende Kinder hin, wenn sie elterlich besorgt ermahnt werden? Eben. Phaeton rast also los bzw. die Pferde. Die folgende Fahrt wird von Ovid ausführlich und anschaulich beschrieben.7 Schon bald merken die Pferde, dass sie nicht von göttlicher Hand gelenkt werden, und machen, was sie wollen. Phaeton verliert schnell die Orientierung und die Kontrolle über das Fahrzeug. Er bereut nun seinen Wunsch nach Göttlichkeit; gerne wäre er jetzt nur der menschliche Sohn seines Stiefvaters Merops.

Illustration zu Phaetons Sturz von Peter Paul Rubens
Phaeton – P.P. Rubens, Anfang 17. Jh. (Ausschnitt)

Aber zu spät. Phaeton gerät zwischen den unbekannten Gestirnen und ihren gruseligen Sternbildern in Panik. In Todesangst lässt er jede Lenkung fahren, das Gefährt befindet sich im ungesteuerten Selbstlauf der Kräfte. Einige Bilder Ovids lassen an Szenen aus Astronautik-Fiction denken; die Schilderung des spiralförmigen Absturzes eher an Hitchcocks „Vertigo“. Der Wagen schleudert zwischen Höhe und Tiefe, Wolken verdampfen in der Hitze. Und „der Erdboden durchzieht sich mit Rissen und verdorrt… Aschgrau werden die Wiesen“. Bäume und Kornfelder verbrennen. Im Vergleich zu dieser Gefährdung von Kosmos, Erde und Ozeanen erwähnt Ovid das Schicksal der Menschen und ihrer Kultur als „Kleines beklage ich noch“, als einen Kollateralschaden sozusagen: „Große Städte gehen samt ihren Mauern zugrunde, ja, es verwandelt das Feuer ganze Länder und Völker in Asche. Wälder mit ihren Bergen brennen…“.

Das Ende der Spritztour

Diese Umweltkatastrophe wird zwar nur von einem Sterblichen, Phaeton, entfesselt. Aber ihr gegenüber sind selbst die alten Gottheiten des Meeres und der Erde, Poseidon und Gaia, machtlos. Die Erdgöttin beklagt sich beim vergleichsweise jungen Zeus: Sie habe doch stets die Menschheit friedlich ernährt! Daher sei ihre Zerstörung unverdient! Gaia bittet daher ihn, als formal höchste göttliche Instanz, einzugreifen. Das aber betreibt sogar Zeus nicht selbstherrlich im Alleingang, wie etwa der Römische Kaiser zu Ovids Zeiten oder so mancher heutige populistische Präsident. Vielmehr ruft er vorher den Rat aller Götter zusammen, einschließlich des an der Katastrophe ja nicht ganz unbeteiligten Helios. Von ihnen lässt er sich die Notwendigkeit seiner Handlung bestätigen. Dann schleudert er einen seiner berüchtigten Blitze, und Phaeton stürzt tödlich getroffen zur Erde. Das Fahrzeug selbst dürfte versicherungstechnisch ein Totalschaden gewesen sein: „weit umher verstreut, die Trümmer des zerschmetterten Wagens“.

Phaeton als mutiger Antagonist des Zeus in neuzeitlicher Rezeption
Zeus und Phaeton (Schaetzler-Palais Augsburg, Bild bearbeitet)8

Folgen und Folgerungen

Reaktionen auf Phaetons Tod

Hier könnte man erwarten, dass Ovid den Zeigefinger hebt und pauschal jeglichen jugendlichen Übermut verdammt. Der griechische Dramatiker Euripides hatte zuvor eine Tragödie über Phaeton geschrieben, für Ovid und die Römer ein Klassiker.9 Thema solcher Tragödien im klassischen Griechenland war immer (auch) die sogenannte Hybris. Hybris bezeichnet eine Überheblichkeit, eine oft gedankenlose Selbstüberschätzung gegen andere, die gleichzeitig die göttlichen bzw. kosmischen Gesetze missachtet. Diese Haltung führt in der Tragödie regelmäßig ins Verderben.10

So ist es selbstverständlich auch bei Phaeton: Ein Sterblicher will sich in den Lauf der Zeit und der Natur einmischen, deren Betätigung den Unsterblichen vorbehalten ist, die sich ebenfalls an deren Gesetze zu halten haben. Und damit vernichtet er sich und andere. Also Anlass genug für jede Menge Zeigefinger-Moral. Ovid aber hält auch hier die Mitte, die Mäßigung: Auf Phaetons Grabstein lässt Ovid stehen: „Hier ruht Phaeton; er lenkte den Wagen des Vaters./ Meisterte er ihn auch nicht, fiel er doch bei gewaltigem Wagnis“. Lapidar ausgedrückt: Okay, er hat Grenzen überschritten und sich übernommen, aber immerhin war er mutig, hat sich getraut.

Und alle trauern, monatelang: seine Schwestern, deren Tränen zu Bernstein werden. Sein Geliebter (ja, mit -r, das hielt man damals, vor der Entstehung religiös-eifernder Sexualmoral, für Privatsache, jedenfalls nicht für irgendwie kommentarwürdig11) Kyknos, der darüber zum Schwan wird. Insbesondere trauern natürlich seine reuevolle Mutter und der Vater Helios.

Helios quittiert erstmal seine Pflicht und geht in den Streik. Er argumentiert: Angenommen, kein anderer komme als Fahrer des Sonnenwagens in Frage, dann solle doch Zeus selbst sehen, wie er mit dem Gespann klarkommt! So lange er die Zügel halten müsste, könnte er wenigstens keine tödlichen Blitze schleudern! Doch die anderen Götter flehen den Sonnengott an, die Welt nicht in Finsternis zu halten. Selbst ihr Chef Zeus entschuldigt sich für den tödlichen Blitz „und fügt nach Königsbrauch zu den Bitten noch drohende Worte“ – die normale politische Diplomatie der Mächtigen eben. Man weiß nicht, welche Vertragswerkstatt den Wagen vielleicht doch noch wieder zusammengeflickt hat; jedenfalls nimmt Helios dann seine Fahrten wieder auf, auch wenn die Pferde unter seiner Wut bös zu leiden haben.

Umweltschädigung? Warum VW sein Automodell trotzdem „Phaeton“ genannt hat

Bevor wir uns der Frage zuwenden, was vom Phaeton-Mythos auf Volkswagen und sein Auto-Modell anzuwenden ist, wollen wir klären, warum VW trotz der Katastrophe diesen Namen gewählt hat.

Im Viktorianischen Zeitalter, im 19. Jahrhundert, wurde, namentlich in England, der Typ einer offenen Kutsche „Phaeton“ genannt. Sie wurde nicht mehr von einem Kutscher, sondern vom Herrn selbst gesteuert.12 Trotzdem bleibt die Auswahl des Namens mit dem katastrophalen Schicksal erklärungsbedürftig. Dabei hilft wenig, dass „Phaeton“, aus dem Griechischen übersetzt, etwa “ der Scheinende“ oder auch „der Leuchtende“ heißt13, oder der Verweis auf andere Erzählvarianten14. Denn unbestritten und bei allen Narrativen zentral bleiben Anmaßung15, Kontrollverlust und Absturz. Warum hat man seinerzeit trotzdem eine Kutsche so benannt?

Illustration: selbst gelenkter Wagen, genannt Phaeton
Phaeton als Selbstlenker

Der Grund dafür ist im Zeitgeist des 19. Jahrhunderts zu suchen. Damals nämlich brachte, insbesondere in England, eine atemberaubende Industrialisierung und technische Entwicklung einen ebenso rapiden Zuwachs an Reichtum, jedenfalls für die Oberschichten. Dessen Basis waren dampfbetriebene Maschinen in Massenproduktion, Verkehr und Energiegewinnung sowie Kolonien in der ganzen Welt. Da schien es keine Grenzen für den menschlichen Schaffensdrang und die Eroberungslust zu geben, keine Schranke für die Beherrschung und Nutzbarmachung der Naturkräfte (und der Arbeitskraft).

Eine der Kehrseiten: Durch den intensiven Gebrauch von industriell geförderter Kohle in der Industrie und in den Mietskasernen der Fabrikarbeiter16 verdunkelte permanenter Smog die Hauptstadt London, selbst am Tage. Den Smog bezeichnete man gerne verharmlosend als ‚typisch Londoner Nebel‘. Und man nahm diesen frühen Boten der Umweltzerstörung ebenso wenig zur Kenntnis wie lange Zeit die zunehmende Belastung der Gesundheit durch Umwelt- und Wasservergiftung, etwa in der Themse. Mit anderen Worten: Es war eine gute Zeit, um im Mythos Phaeton nur den prächtigen Sonnenwagen zu sehen – und sich darin als selbst lenkenden, gottgleichen Himmelsstürmer. Und es war eine schlechte Zeit, darin den Kontrollverlust17 und die Hybris, namentlich die angemaßte Umweltzerstörung, zu erkennen, statt sie einfach im ideologischen Nebel unsichtbar bleiben zu lassen.18

Auf jene Kutsche des stürmischen Industriezeitalters bezieht sich Volkswagen, wenn es den Namen für sein Automodell begründet. Und seine Marketing-Kommunikatoren verweisen darauf, dass mehrere Autohersteller schon lange vor VW ihre Autotypen nach dieser Kutsche „Phaeton“ genannt hätten. Schon die damaligen Automobilfabrikanten setzten also ungebrochen jene einseitige viktorianische Interpretation des Phaeton-Gefährts auf Grundlage der Verherrlichung einer schrankenlosen industriellen Expansion fort. Und ebenso einseitig formuliert wiederum rund 100 Jahre später, 2001, der Volkswagen-Konzern noch einmal seine Sichtweise der Phaeton-Tragödie und kündigt gar eine Fortsetzung der Handlung an: „Der Name Phaeton nimmt ein Thema aus der Antike auf und projiziert dieses in die Zukunft des modernen Automobilbaus.“19 Da kann man Angst bekommen.

Was lässt sich von der Phaeton-Mythologie auf das VW-Modell und den Volkswagen-Konzern beziehen?

Der Diesel-Abgas-Betrug: Marktpolitik im Namen der Umwelt

Im Netz haben einige Autoren etwas hämisch auf die letztliche Erfolglosigkeit des Automodells Phaeton (gebaut von 2001 bis 2016) in der Typenpolitik von Volkswagen hingewiesen.20 Das ehrgeizige Oberklassen-Projekt sei im Markt gescheitert, verunfallt wie Phaetons himmelstürmende Fahrt. Zumal wenn man Ovid gelesen hat, scheint derlei Polemik etwas flach gegriffen. Ein erfolgloses Automodell und ein Flop am Markt sind nichts im Vergleich zu einer Umweltkatastrophe und ihren „Kollateralschäden“ für die Menschen. Parallelen und Unterscheidungen sind woanders zu suchen.

Phaeton wurde von seinem Vater gewarnt; er wusste um die möglichen Folgen seines Handelns. Beim Diesel-Abgas-Skandal gaben Volkswagen-Manager vor, nichts von den betrügerischen Manipulationen der VW-Software gewusst zu haben. Das aber wäre bitter. Denn dann hätten zahlreiche Führungskräfte keine Ahnung gehabt, was in ihrem Laden läuft. Dann wären sie eine krasse Fehlbesetzung. Das ist kaum zu glauben. Vielmehr bildet der Diesel-Abgas-Betrug (vorläufig) das Ende der damaligen VW-Marktstrategie, insbesondere seine Diesel-Fahrzeuge zur rettenden ökologischen Zukunftsperspektive der Autos zu etablieren.21 Dies verfolgte der Volkswagen-Konzern unter dem Label „Clean Diesel“ v.a. in den USA und Deutschland, namentlich in Konkurrenz zu Hybrid-Antrieben, wie sie etwa von Toyota betrieben wurden. Denn bei Verbrennungsmotoren hatte VW die Nase ziemlich weit vorn, alternative Antriebe hingegen wurden bei Volkswagen nur marginal verfolgt.22 Auch im Schadenersatz-Prozess in Deutschland hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Klägern gegen VW Recht gegeben. In der Begründung heißt es, „Das Verhalten der Beklagten [VW] … ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren“23. Der Volkswagen-Konzern wusste demnach, wie Phaeton, was er tat, und verstieß zudem wissentlich gegen Gesetze.24 Ein Bruch der Gesetze wird im Phaeton-Mythos hingegen noch nicht einmal den Göttern zugestanden. Hier haben wir es also mit einem ungleich krasseren Fall von Hybris – Selbstüberheblichkeit – zu tun als bei Phaeton selbst.25

Umweltkatastrophe in Mythos und Realität

Das Wesentliche und Grundsätzliche aber weiß auch der Volkswagen-Konzern spätestens seit dem „Club of Rome“ Mitte der 1970er Jahre.26 Nämlich dass der Autoverkehr, unter anderem seine Verbrennungsmotoren, schädlich für die Umwelt und damit für die Menschheit sind. In den dafür zentralen, seit langem bekannten Stichworten finden sich die Bilder des Phaeton-Mythos wieder: Die Erwärmung des Klimas, in der Regenwolken zu verdampfen drohen, mal zu wenig, dann wieder zu geballt auftreten; in der Felder und Wälder verdorren, sich Dürren und Waldbrände häufen; in der eine Erdgöttin in der Tat fürchten müsste, die Menschheit nicht mehr ausreichend ernähren zu können…

Symbolbild: sich ausbreitende Dürre im Klimawandel
„der Erdboden durchzieht sich mit Rissen und verdorrt…, aschgrau werden die Wiesen“ (Ovid)

Natürlich ist die von Phaeton angerichtete Katastrophe ungleich geballter und rapider. Und dort gibt es nur einen Verursacher. In der Umwelt- und Klima-Krise hingegen gibt es viele Ursachen und auch Verursacher – der VW-Konzern ist nur einer davon. Und auch die Folgen dieser Klimapolitik sind allmählicher und stehen erst in den Anfängen. Aber sie sind weitaus nachhaltiger und unumkehrbarer als im Phaeton-Mythos, der sie uns in Form einer Erzählung sozusagen konzentriert vor Augen führt. Und in der Mythologie gibt es einen ziemlich mächtigen Zeus, der das vom Menschen angerichtete Unheil dann doch wieder einigermaßen ausbügelt. Zumindest renoviert er erstmal das Herzland der Griechen, Arkadien. Darauf ist heutzutage nicht zu hoffen. – Und wir wollen hoffen, dass sich kein Mensch wieder einmal (erfolgreich) das trügerische Versprechen anmaßt, göttergleich alles für alle zu richten.

VW und die Unsterblichkeit

Sowohl Phaeton als auch der VW-Konzern verfolgen ursprünglich nachvollziehbare individuelle Ziele: Phaeton den Vaterschaftsbeweis und Fahrspaß, Volkswagen Markterfolg und Gewinn. Die Phaeton-Sage lehrt uns aber auch, dass unbelehrbare Anmaßung und Maßlosigkeit bei der Zielverfolgung nicht nur für einen selbst schädlich sind. Vielmehr haben auch andere die Folgen mit zu tragen. Analog zu Phaeton strebt der Volkswagen-Konzern gleichsam seine Unsterblichkeit an. Denn er macht sein unverändertes Fortbestehen zur Richtschnur des Handelns. Und zwar nicht nur für sich; alle sollen sich danach ausrichten, auch das Gemeinwesen. Daher nämlich verlangte die VW-Führung selbst noch angesichts der „Risse im Erdboden“, der “aschgrauen Wiesen“, der „brennenden Wälder“ und trotz Rekordgewinnen in den vorangegangenen Jahren noch im Jahr 2020 Subvention vom Staat. Ja, trotz aller Proklamation für E-Motoren forderte Volkswagen noch einmal Kaufprämien sogar für seine traditionellen, besonders schädlichen Verbrennungsmotoren ein.27 (Ob Elektro-Autos wirklich eine ökologisch sinnvolle Alternative zum Verbrennungsmotor-Auto darstellen, bezweifeln mittlerweile allerdings viele ernst zu nehmende Wissenschaftler und Studien.28) „Und fügt nach Königsbrauch zu den Bitten noch drohende Worte“, wie Ovid formulierte. Nämlich dass, wenn der Konzern nicht unverändert und unsterblich weiterbestehe, Arbeitsplätze gefährdet seien. So wie die Götter allein Leben geben und nehmen können, maßt man sich an, als einziger allein Arbeitsplätze, Unterhalt und sinnvolle Betätigung für die Menschen gewähren zu können.

Aktuell hat dann allerdings zunächst ein Klimawandler mit Kerosin-Verbrennungs-Antrieb das Rennen um die Unsterblichkeit gemacht. Schon von Haus aus dem Himmel näher, haben die politischen Entscheider jene Flugzeug-Betreiber mit 9 Mrd. bei der Göttlichstellung bevorzugt.29 Phaeton hingegen war zwar uneinsichtig, aber er hat immerhin keine falschen Versprechungen gemacht und sein Überleben nicht als notwendig für die menschliche Gemeinschaft dargestellt.

Verkehrte Rollen, andere Aufgaben

Eventuell gibt es noch eine Parallele zwischen dem Phaeton-Mythos und der Welt der Auto- und Energiekonzerne. Oder wird es sich als entscheidender Unterschied herausstellen? Der heranwachsende Phaeton wird von seinem Vater gemahnt und gewarnt. Und er erkennt – wenn auch zu spät – dass die Warnung berechtigt war, dass er falsch gehandelt hat. Im Unterschied dazu scheinen in der heutigen Welt eher die Kinder ihre Eltern zu mahnen. Sie sind es zur Zeit in vorderer Linie, die den sich väterlich nachgiebig gebenden Konzernen und den Politikern, die deren Vergöttlichung teilen, Warnung und Widerworte entgegensetzen. Ob ihre Mahnungen ebenfalls, wie bei Phaeton, zu spät eingesehen werden, steht noch offen. In beiden Fällen dahingestellt ist natürlich auch, ob Mahnung ein geeignetes Mittel zur Katastrophenverhinderung darstellt. In der antiken Mythologie und ihren Tragödien ist dies regelmäßig nicht der Fall.

Erläuterungen, Quellen und weiterführende Links

Anlass für den Artikel ist ein Dialog zwischen Jung und Alt: Jung erwähnt das VW-Modell „Phaeton“. – Alt: „Was, Phaeton heißt ein Auto? Was haben die denn geraucht?“– Jung: „Wieso?“ Danke an M. für Info und Rückfrage.

  1. Ovid (Publius Ovidius Naso) lebte 43 v. Chr bis 17/18 n. Chr. Er war zur Zeit des Kaisers Augustus ein berühmter und beliebter Dichter. In seinen „Metamorphosen“ hat er eine Fülle klassisch griechischer Sagen in lateinischen Versen gefasst und gestaltet. Noch vor deren Erscheinen wurde er allerdings im Jahr 8 n. Chr. vom Kaiser nach Tomi/Constanza im heutigen Rumänien verbannt. Seine „Liebeselegien“ und „Liebeskunst“ trugen nicht unwesentlich zum Ruf Roms als Gesellschaft der lockeren Moral und Sitten bei.
  2. Über die Mutter Klymene und die Varianten ihrer Herkunft informiert die Reihe Griechische Mythologie:
    https://griechische-mythologie.wikia.org/wiki/Klymene. Von dort stammt auch ihr Bildnis unbekannter Herkunft.
  3. Wörtlich: „Deiner Mutter glaubst du alles, du Narr, und brüstest dich mit einem falschen, eingebildeten Vater!“ (Übersetzung Fink, siehe dazu unten die Anmerkung 7)
  4. Das anzustrebende Persönlichkeitsbild des klassischen Griechenlands war καλοκἀγαθία /kalokagathía, eine Zusammenziehung von „schön“ und „gut“, und meinte das Ideal der Harmonie von äußerer und innerer Vollkommenheit, allseitige Vortrefflichkeit.
  5. Hintergrund: Zur Zeit der griechischen Klassik entwarf der idealistische Philosoph und Staatstheoretiker Platon (428 – 348 v. Chr.) zunächst einen Idealstaat, in dem die Besten und Weisen als Staatslenker und „Wächter“ fungieren sollten. Diese sollten zuvor sorgfältig herangezüchtet und erzogen werden. Mit zunehmendem Alter musste Platon jedoch feststellen, dass die von ihm unterstützten, für würdig befundenen Staatsführer sich dann doch spätestens mit der Übernahme von Macht regelmäßig als weder gute noch weise Menschen erwiesen. Daher änderte er seinen Ansatz für einen Idealstaat: Er plädierte nun als „zweitbeste“ Lösung für allgemeine Gesetze, die, unabhängig von einzelnen Menschen, für alle – also für Beherrschte und Herrscher – gleich gelten sollten (Platon, Nomoi/Gesetze). Eine Übersicht über Demokratie und Oligarchie in Athen und Sparta findest du bei Cosmiq im Artikel zum Peloponnesischen Krieg als Modell.
  6. Siehe vorige Anmerkung. Dieser und andere interpretatorische Gedanken im vorliegenden Text stammen aus dem lesenswerten Artikel von Hartmut Böhme: Phaeton, Prometheus und die Grenzen des Fliegens.
  7. Ovid, Metamorphosen. Der vorliegende Artikel und seine Ovid-Zitate (kursiv) richten sich nach der Ausgabe und Übersetzung von Gerhard Fink, erschienen im Artemis-Verlag und als Fischer Taschenbuch (April 1992). Generell sind bei antiken Texten neuere Prosa-Übersetzungen zu empfehlen. Zur Zeit der Romantik versuchte man in der Regel, das griechische Versmaß (vorwiegend Hexameter) ins Deutsche mitzunehmen. Die wohlklingende Form schien wichtiger als der dadurch oft dunkel bleibende Inhalt. Durch solche Verbiegungen der Texte – und die romantische Brille – litt die Bedeutung erheblich. Und gerade die anschaulichen, mitunter auch „saftigen“ Passagen wurden so häufig sehr kraftlos und jugendfrei. Letzteres gilt auch für die Texte von Gustav Schwab, die für Generationen von Jugendlichen auch in vordemokratischen Zeiten erziehend wirkten. Seine „jugendgerechten“ Nacherzählungen der ‚Sagen des klassischen Altertums‘ standen gleichsam unter der Maxime „Gewalt geht immer, Erotik nimmer“. Sie haben auch heute noch das Bild der antiken (Sagen-)Welt entscheidend geprägt und gefärbt.
  8. Das Bild von Zeus und Phaeton entstammt einer Supraporte (Bild über der Tür) des Schaetzler-Palais Augsburg und wurde zusammen mit einer kurzen Beschreibung durch das dortige ‚Gymnasium bei St Stephan‘ ins Netz gestellt.
    Dort findet sich auch ein kleiner Wissenstest über Phaeton für die Jüngeren unter uns ;-)
  9. Diese Tragödie „Phaeton“ von Euripides ist uns heutzutage nur noch in wenigen Zitaten überliefert. Aber für die Römer war sie allgemeines Bildungsgut, wie überhaupt die klassisch-griechische Kultur Leitbild-Charakter für das antike Rom hatte. Daher ja auch u.a. Ovids Übernahme und Bearbeitungen der von den Griechen überlieferten vorklassischen griechischen Sagen.
  10. In der klassisch antiken Tragödie steht der Begriff δεινός (deïnos), „mächtig/gewaltig“, in seiner Doppelbedeutung oft als zentrales Adjektiv für den Menschen. So z.B. im Eingangsvers des Prologs der „Antigone“ von Sophokles. In diesem Kontext meint δεινός/“gewaltig“ alle Mitbedeutungen (Konnotationen): mächtig, fähig, viel vermögend, aber auch gewalttätig, die Fähigkeit habend Unheil anzurichten. Eben daraus entstehen klassische Tragödien.
  11. Ein schlagendes Beispiel für zeitgenössische Hybris/Überheblichkeit gegenüber Homosexualität liefern die Kämpfe um das Lokal „Stonewall“ in der Christopher Street in New York. In dem bekannten, von der Mafia schutzgeldartig betriebenen Schwulen-Treff führte die Polizei 1969 eine Razzia durch. Es herrschte das Vorurteil, dass ja alle Schwulen „von Natur aus“ weibisch-schwächlich wären. Und so wähnten sich die Polizisten selbst um so „männlicher“ und stärker. Aber bei der Razzia kam die Hybris/Überheblichkeit vor den Fall: Die Schwulen wehrten sich unerwartet hartnäckig gegen ihre schikanöse, homophob-aggressive Behandlung und schlugen zurück. Die Polizei geriet ernsthaft in die Defensive, bezog ihrerseits Prügel und musste sich verbarrikadieren, bis sie von einer herbeigerufenen Spezialeinheit erlöst werden konnte. Am folgenden Abend und an späteren Tagen wurden immer wieder Demonstrationen organisiert, die auch in Straßenkämpfe mit der Ordnungsmacht mündeten. Dabei formierte sich die Bewegung politisch in Komitees und mit eigenen Zeitungen. Zentral war die Forderung, seine sexuelle Orientierung frei leben zu können, ohne Furcht vor Diskriminierung, Verhaftung und Bestrafung, ohne sich verstecken zu müssen. Stonewall/Christopher Street gilt als Initialzündung der modernen, politisch offensiven LGBT-Bewegung. Binnen weniger Jahre entstanden in den USA und Ländern der ganzen Welt Organisationen für die Freiheit der sexuellen Orientierung. Und weltweit wird jährlich stolz und selbstbewusst der Christopher Street Day gefeiert.
    Die Geschichte um die Stonewall-Unruhen 1969 erzählt bpb, jüngst allerdings wesentlich kürzer geraten, mit weiteren dort verlinkten Artikeln zum Thema. Und auch ein historisch und aktuell ausführlicherer Beitrag zum Thema Homosexualität bei planet wissen ist neuerdings, zeitlich nach Erstellung des vorliegenden Textes, augenscheinlich durch einen Beitrag über Intersexualität ersetzt worden. Das Thema scheint, weil ideologisch umkämpft, wieder einmal heikler zu werden und die Beiträge im Netz entsprechend vorsichtiger. Einen kurzen Überblick über den sehr unterschiedlichen Umgang mit Homosexualität in der Geschichte findest du bei cosmiq hier.]
  12. „Phaeton“ als englische Kutsche findet sich z.B. literarisch auch bei Charles Dickens, David Copperfield, erwähnt.
  13. Das Wort Phaeton leitet sich als Partizip ab von griechisch φαíνoμαı (phainomai), (er)scheinen usw., wovon u.a. das deutsche Fremdwort „Phänomen“ abstammt.
  14. In seltenerer, aus vielen Textstellen kolportierter Variante (u. a. mit Bezug auf den noch vorklassischen Hesiod) wäre die Mutter von Phaeton die Göttin der Morgenröte, Eos. Damit wäre der für das 19. Jahrhundert skandalöse Makel der Außerehelichkeit „getilgt“. Eos wiederum wird jedoch in der Mythologie allgemein als Schwester des Vaters Helios angesehen, und das macht uns dann stammbaumtechnisch auch nicht glücklicher.[Die verschiedenen Varianten insbesondere über die Herkunft Phaetons finden sich in Mythen näher betrachtet. Mit stärkerer Betonung der verschiedenen inhaltlichen Quellen und Varianten des Phaeton-Mythos: https://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1102109]
  15. Mit einer rein göttlichen Abstammung könnte man ein wenig gegen die Interpretation der Tragik aus der menschlichen Hybris heraus argumentieren. Es bliebe aber die Anmaßung des Sohnes, den Sonnengott zu ersetzen oder ihm zu gleichen. Ohne Anmaßung und deren Scheitern oder ohne die Vater-Sohn-Beziehung hätte der gesamte Mythos nur noch den Sinn einer Flug-Beschreibung, eines illustrativen Bilderbogens über Sonnenpalast, Kutsche, Sternbilder und Erwähnung von Landschaften und Flüssen. Als Tragödien-Stoff, etwa für Euripides, wäre er in der Gestalt absolut ungeeignet gewesen. In der vorklassischen Auffassung der Mythologie (z.B. Hesiod, um 700 v.Chr.) stand noch eher das Verhältnis der Menschen zu den Göttern und ihrer Vorsehung im Vordergrund; in der Klassik – bei Euripides (ca. vor 400 v.Chr.) und anderen – dann verschob sich auch in der Tragödie das Interesse auf das Handeln der Personen/Menschen, ihre Motive und ihre Beziehung untereinander.
  16. Eine echte Lady hingegen hätte damals und noch lange Zeit danach nie einen Raum betreten, der mit Kohle beheizt würde. In diesen Kreisen präferierte man weiterhin das nicht nur in England rar werdende, teure Holz.
  17. Dass das unbedingte Streben nach Kontrolle im einzelnen notwendig mit Kontrollverlust im ganzen einhergeht, dass nur instrumentell-rationalistische Aufklärung den Mythos immer schon in sich trägt und erneut produziert: Das zeigt die legendäre Schrift „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno/Horkheimer schlaglichtartig auf. Sie hat eine ganze Studenten-Generation beeinflusst. [Eine Kurzcharakterisierung der Gedanken findet sich hier, ausführlicher bei Wikipedia, aber das Original zu lesen ist auch aktuell ungleich spannender.]
  18. Rund 100 Jahre später, am 05.12.1952, forderte der Londoner „Nebel“ in einer Inversionswetterlage ca. 12.000 Tote binnen weniger Tage. Teilweise fielen die Menschen auf der Straße einfach tot um. Die völlig überlasteten Krankenhäuser mussten bald die Masse von Atemwegspatienten abweisen. Erst daraufhin, genauer 1956, wurden in Großbritannien mit dem Clean Air Act die ersten Gesetze gegen Luftverschmutzung erlassen. Zu diesem Ereignis siehe z.B. weather.com: Menschen im sauren Nebel
  19. Das Zitat des VW-Konzerns zur Phaeton-Tradition stammt aus dem Spiegel vom 12.12.2001
  20. Auf die Analogie der gescheiterten Fahrt Phaetons mit dem Scheitern des Phaeton-Automodells hebt z.B. das Handelsblatt vom 12.03.2016 ab.
  21. Eine kleine Vorgeschichte zum Narrativ „Diesel als Umwelt-Retter“ gab es schon in den 1980ern, als das Waldsterben für kurze Zeit auch konservative Gemüter erschütterte und, namentlich im Wahlkampf, Politiker aller Parteien sich als Umweltschützer entdeckten. Der damalige skandalumwitterte Innen- und dann Verkehrsminister Zimmermann erkannte dabei ausgerechnet Dieselmotoren als weniger schädlich für den Wald als Benzinmotoren (sie verursachten angeblich weniger Sauren Regen, der für das Waldsterben verantwortlich gemacht wurde). Aufgrund dessen senkte er die Steuern für Dieselfahrzeuge, so dass diese vermehrt gekauft wurden. Daher konnte er in der Folge statistisch einen hohen Anteil und einen raschen Zuwachs „umweltfreundlicher“ Verbrennungs-Fahrzeuge feststellen. Denn die Dieselfahrzeuge wurden folgerichtig dazugezählt. Mit dieser statistischen Strategie reduzierte er den Handlungsdruck für die Auto-Industrie.
  22. Um mit seiner Diesel-Option den strenger werdenden Abgasnormen zu genügen, entwickelte der VW-Konzern eine Motorenreihe (EA 189) mit einer elektronischen Steuerung, die die Situation auf dem Prüfstand erkannte und dann konforme Abgaswerte produzierte. Im Normalbetrieb jedoch schaltete der Motor sozusagen wieder auf „Fahrspaß“ um, und es wurden systematisch höhere, unzulässige Schadstoffwerte ausgestoßen (siehe auch die Feststellung des BGH in der folgenden Anmerkung). Eine fundierte Darstellung dazu findest du in der Zeitschrift Sozial.Geschichte Online: Herbert Obenland, Das Dieselauto – Eine Geschichte von Illusion und Betrug.
  23. Zitat BGH: „Das Verhalten der Beklagten [VW] im Verhältnis zum Kläger [Käufer] ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte [VW] hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA [Kraftfahrt-Bundesamt, zuständig unter anderem für die Genehmigung von Auto-Typen] systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in den Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist […] besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.“ [Zitiert in Herbert Obenland, Das Dieselauto – Eine Geschichte von Illusion und Betrug, siehe vorherige Anmerkung]
  24. Im September 2020 ist nun gar der damalige VW-Vorstandschef Winterkorn offiziell von der Staatsanwaltschaft wegen „gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs“ angeklagt worden (Quelle: siehe vorangehende Anmerkung).
    Aktueller Nachtrag 27.06.2023: Im Juni 2023, also knapp 8 Jahre nach der Aufdeckung des Betrugs (September 2015), sind nun die ersten strafrechtlichen Urteile gegen Manager des Konzerns wegen Betrugs ausgesprochen worden. In so genannten „Deals“ (Haftverschonung gegen Geständnis) kamen alle mit Geld- und Haftstrafen auf Bewährung davon. Die Klagen von Diesel-Besitzern gegen den Konzern auf Entschädigung dauern hingegen an. Ein Grundsatz-Urteil des BGH hat jetzt ihre Chancen verbessert, indem die Hersteller in die Nachweispflicht über die Funktionsweise der Software einbezogen werden sollen. VW reagierte durch seine Sprecherin auf das Urteil dennoch zuversichtlich: Für jedes einzelne Dieselmodell müsse ein absichtlicher Verstoß gegen die Zulässigkeit erwiesen werden. Das bezieht sich vermutlich darauf, dass das Bundesverkehrsministerium beim Aufkommen des Diesel-Skandals flugs zahlreiche „Ausnahmen“ bei der vorgeschriebenen Abgasregulierung zugelassen hat, etwa „zum Schutz des Motors“. Es dürften also wohl noch viele betroffene Autos auf dem Autofriedhof oder in der 3. Welt gelandet sein, bevor vielleicht ein (prozentualer) Schadenersatz in weiteren eingeklagten Einzelfällen tatsächlich stattfindet. Aktueller Nachtrag 14.02.2024: VW-Chef Winterkorn bekundet vor Gericht, dass er von nichts gewusst habe… und die gerichtliche Klärung zur Entschädigung läuft… und läuft… und läuft… – wenn auch die betreffenden Autos vielleicht mittlerweile nicht mehr.
  25. Der griechische Philosoph und Staatstheoretiker Platon warnte, altersweise geworden [Platon, Die Gesetze/ Νόμοι/ Nomoi, Buch V], dass eine allzu ungleiche Verteilung von Reichtum in einem Gemeinwesen vielleicht zu Revolten führen werde, mit Sicherheit aber zur Hybris der Reichen und Mächtigen und damit zum Verderbnis des Staates.
  26. Der interdisziplinäre und übernationale Zusammenschluss Club of Rome veröffentlichte bereits 1972 seine Aufsehen erregende wissenschaftliche Studie „Die Grenzen des Wachstums“, von der einige Vorhersagen zu Umweltverschmutzung und Klimawandel mittlerweile bereits eingetreten, andere deutlich sichtbar sind. Die Studie wurde seinerzeit breit diskutiert, aber in ihren Forderungen kaum umgesetzt
  27. n-tv: Volkswagen fordert Corona-Kaufprämie.
  28. Die Kritiker des Elektro-Autos führen eine Reihe von Argumenten ins Feld:

    1. Sie verweisen auf die ökologischen Folgen bei der Gewinnung von Elektrizität und von Material für Batterien. Die Befürworter des E-Autos unterstellten zu Unrecht eine CO2-freie Stromerzeugung für den Betrieb der E-Autos. Realiter wird jedoch weiterhin auch für die Stromgewinnung global, auch in Deutschland, noch jede Menge fossiler Energie (Kohle, Erdöl, Erdgas) verbraucht, von anderen Ländern wie China als Hauptkunde der deutschen Autoindustrie ganz zu schweigen. Der Ersatz von Benzin bzw. Diesel im Auto durch Erdöl- oder gar Kohle-erzeugten Strom aber mache energie- und klimatechnisch kaum Sinn.
    2. Gleiches gelte für die Erzeugung von Rohstoffen und Material für die Herstellung der Autos. Auch hier stimme die Annahme nicht mit der Realität überein. Das gelte insbesondere für das unterstellte Recycling von Batterie-Bestandteilen, weil die ökologisch und sozial rüde Neugewinnung von Batterie-Rohstoffen schlichtweg billiger sei. Die Argumentation der Kritiker: Systemisch bedingt gingen Rohstoffgewinnung und -verbrauch in einer gewinnorientierten Wirtschaftsweise eben nicht so ökologisch vonstatten, wie es für die E-Autos in Berechnungen gerne angenommen wird und technologisch auch möglich wäre. Besonders jene unterstellte CO2-freie Energiegewinnung für Produktion und Betriebsstrom der E-Autos stehe daher, weltweit betrachtet, auch noch längerfristig überwiegend im Konjunktiv („könnte, würde…“).
    3. Viele Kritiker bemängeln auch grundsätzlich den unangemessen hohen Ressourcenverbrauch für die Herstellung und die Bewegung von im Schnitt 1,4-Tonnen-schweren Fahrzeugen zur Beförderung von im Schnitt 1,3 Menschen, die zudem überwiegend ungenutzt herumstehen und Parkraum verbrauchen. Gerade in den Ballungszentren würden Verkehrschaos, alltägliche Staus und der Verdrängungskrieg mit Wohnraum, Fußgängern und Radfahrern durch E-Autos nicht geringer. Wo noch Platz (Natur) ist, bliebe der hohe Druck zur Ausweitung von Auto-Verkehrswegen (z.B. Autobahnen). Neben hohen ökologischen und finanziellen Kosten verweisen Kritiker auf die weitere Flächenversiegelung durch Straßenbau, die zu Hochwasser-Katastrophen beiträgt.
    4. Auch müsse nach neueren Erkenntnissen – unabhängig von der Antriebsart – der Reifenabrieb in die ökologische Gesamtrechnung mit einbezogen werden. Denn er sei für ein Großteil des Mikroplastik in unserer Umwelt und Nahrungsketten verantwortlich. Kupplungs-, Straßen- und Bremsabrieb erzeugten zudem auch beim E-Auto jede Menge tödlichen Feinstaub.

    Für viele dieser Kritiker ist das Elektro-Auto daher eher eine erfolgversprechende neue Marketing-Strategie einer auf Wachstum ausgerichteten und auf Wachstum angewiesenen Industrie und Gesellschaft unter neuen Vorzeichen – keineswegs aber sei es eine wirkliche Alternative zum Verbrennungsmotor-Auto und definitiv keine Lösung für seine ökologischen Probleme einschließlich Klimawandel.
    [Eine ausführlichere Zusammenfassung der dargestellten Aspekte findet man – wohl nur vorübergehend – im jüngsten Beitrag des TV-Senders arte: Umweltsünder E-Auto? Kürzere Verweise auf die genannten Positionen findest du zum Beispiel in planet wissen: Autoland Deuschland / Umweltbilanz des Elektro-Autos und als Video in der ARD-Mediathek: Umweltbilanz E-Auto , zum Mikroplastik im Reifenabrieb hier: https://www.plastikalternative.de/reifenabrieb/.]
    Auf den Seiten der Suchmaschinen des Internets lässt sich der dramatische Kampf verschiedener Interessengruppen mittels Gutachten, Statistiken, Meinungen und postwendenden Widerlegungen sehr schön ablesen: Hier geht es um richtig viel Geld für die mächtigsten Industrien u.a. der deutschen Wirtschaft.

  29. Mitte 2020 hat die Bundesregierung den Flugverkehr mit insgesamt 9 Mrd. € zu subventionieren beschlossen. In der Folge kam es dennoch zu massivem Arbeitsplatz-Abbau.