Woher kommt das Sprichwort: Mit einer Träne im Knopfloch?

Es handelt sich weniger um ein Sprichwort als vielmehr um eine Redensart oder ein geflügeltes Wort; denn ein Sprichwort enthält ja eine Weisheit, die mit dem Sprichwort gemerkt und weitergegeben wird. Aber wenn man sich die Redensart von der Träne im Knopfloch und ihre Entstehung genauer ansieht, kann man vielleicht doch ein wenig weiser werden, schauen wir mal.

Im 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trugen Herren von Welt insbesondere bei Tanzveranstaltungen gerne mal eine Blume im Knopfloch des Kragens ihres Anzug-Jacketts, die dezent ihre Gemütslage zum Ausdruck bringen sollte: eine rote Rose für Verliebtsein, das – am besten von der Partnerin eingesteckte – blaue Veilchen für Treue, das Wiesensträußchen für naturverbundene Freude usw.

Unschwer lässt sich eine Träne im Knopfloch als Zeichen der dezent angedeuteten Trauer oder Wehmut erkennen. Dabei handelt es sich natürlich nur um ein Bild, da so eine Träne in einem Anzugs-Knopfloch kaum halten dürfte.

Soweit man es zurückverfolgen kann, taucht die Träne im Knopfloch zuerst in der Zeile „Du hast ja eine Träne im Knopfloch“ auf, die zugleich der Titel eines Schlagers ist, getextet und komponiert von Friedrich Hollaender, gesungen von Walter Jurmann. Damals, zu Beginn der Tonfilmzeit, enthielten Filme Musikstücke, die dann als Schallplatten ausgekoppelt und vermarktet wurden, so auch in diesem Fall. Das Lied wurde im August 1930 aufgenommen und stammt aus dem Film Der Andere von 1930, Regie Robert Wiene, Drehbuch Johannes Brandt. Dieser Film ist die Neuverfilmung eines Stummfilms aus dem Jahr 1913. In ihm geht es um einen Staatsanwalt, der tagsüber für Recht und Ordnung gegen das Verbrechen kämpft – und nachts selbst zum Verbrecher wird. Als solcher verliebt er sich in eine Frau aus dem Verbrechensmilieu, die ihn dazu drängt, jenen Staatsanwalt zu ermorden. Schließlich wird seine Persönlichkeitsspaltung erkannt und kann geheilt werden.

Zur Entstehungszeit des Films, zweieinhalb Jahre vor dem Sieg des Faschismus in Deutschland, kann man in der alten Frage nach der dunklen und der hellen Seite der menschlichen Seele in einem Träger der Staatsmacht auch eine politische Deutung finden: Die Angst, dass der Staat, der eigentlich für Recht und Gesetz sorgen soll, in sich die Gefahr birgt, dass er durch seine Träger verbrecherisch wird und zur Beseitigung von Recht und Gesetz verführt wird. Im Film nimmt das ein gutes Ende, der Staatsanwalt wird durch die Psychoanalyse, also das Sprechen und Deuten, geheilt; dieses Sprechen und Deuten kann durch den Tonfilm zur Geltung kommen. In der Realität konnten bekanntlich weder Psychoanalyse noch Tonfilm abwenden, dass Menschen im Namen und Auftrag des Staates Verbrechen begingen und Recht und Gesetz weitgehend abschafften.

Aus diesem Film vor Ausbruch des Faschismus also stammt das Lied und die Zeile „Du hast ja eine Träne im Knopfloch“. Das Lied hat nur eine Strophe, in der es heißt, „Man trägt keine Tränen im Knopfloch, weil die unmodern geworden sind“; heutzutage trage man alle möglichen Blumen, notfalls eine Melone. Eine solche ironische Distanzierung durch Übertreibung galt damals allgemein als „cool“. Trauer, Wehmut zu zeigen ist also demnach unmodern, angesagt ist Freude und Zustimmung, zumindest kühle Distanzierung von „negativen“ Emotionen. Auch dies kann man unter anderem auf den politischen Hintergrund und eine mögliche Haltung dazu beziehen. Die Wendung jedenfalls ging in den Sprachschatz vor allem der Berliner ein. Viele Leute gehen allerdings davon aus, dass das Wort von der Träne im Knopfloch schon früher entstand und erst in dem Film und seiner Musik populäre Verbreitung fand als eine Möglichkeit, distanziert ironisch wehmütige Stimmung anzudeuten.