Reizwortanalyse: Eine einfache aber effiziente Kreativitätstechnik (Zufallstechniken, Bisoziation, Ideenfindung)
Inhalsverzeichnis
Was ist eine Reizwortanalyse?
Die Reizwortanalyse ist eine Kreativitätstechnik, mit der kreative Lösungen gefunden werden können, indem lineare Denkpfade durch zufällige Eindrücke (zumeist Worte) durchbrochen werden. Diese Worte werden als „Reizworte“ oder auch „Zufallsworte“ bezeichnet und können je nach Kontext und Zielgruppe unterschiedlich sein. Reizworte definieren sich dabei, anders als man zunächst denken könnte, nicht als besonders „aufwühlend“ oder „emotionsstark“, sondern liefern einen „Reiz als Input“.
Während klassische Assoziationsketten oder -verknüpfungen vergleichsweise linear ablaufen, soll bei der Reizwortanalyse eine „Bisoziation“ erfolgen. Klingt abstrakt? Ist eigentlich ganz einfach:
- Eine beispielhafte Assoziationskette ist z.B. „Geld -> reich -> teures Auto -> schnell -> 100-Meter-Läufer -> Goldmedaille“. Die Begriffe sind alle miteinander „verhaftet“ und folgen damit eher linearem Denken.
- Eine Bisoziation hingegen ist die kreative Verknüpfung von zunächst eher unverbundenen Begriffen, wie „Spinne“ <-> „Regen“. Hier lässt sich dann eine Reihe von weniger naheliegenden Ideen oder Konzepten ableiten, welche im Rahmen der Reizwortanalyse auf Fragestellungen angewandt werden können. Im Beispiel könnte man die beiden Begriffe z.B. gedanklich verbinden zu: einem Erlebnistrip zur seltenen Regenwaldspinne, einer Romanfigur eines Spinners, der immerzu denkt, es regnet, einem Märchen, in dem aus Regen ein Kleid gesponnen wird, etc.
Die Reizworttechnik ist nur eine der verschiedenen Methoden, um mit der Bisoziation zu arbeiten. Man sollte auf jeden Fall alle Ideen aufschreiben und nicht nur was man gerade spontan gut findet! Oft entwickeln sich auch erst im zweiten Denkschritt weitere interessante Ideen.
Wofür eignet sich eine Reizwortanalyse?
Im Prinzip sind den Anwendungsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt. Die Technik kann sowohl in der Schule mit Kindern, an der Universität mit Studenten oder auch in Unternehmen eingesetzt werden. Selbst im familiären Rahmen oder anderen sozialen Gruppen lässt sich die Methode anwenden. Man kann sie auch alleine sehr gut nutzen und muss diese nicht unbedingt in Gruppen durchführen.
Eine Reizwortanalyse ist besonders geeignet
a) für frühe Phasen der Ideenfindung, da mit der Methode kreative und überraschende Ansätze entwickelt werden können, und
b) für festgefahrene Probleme/Abläufe, zu denen ein neuer kreativer Ansatz benötigt wird und bestehende Vorgehens- bzw. Denkstrukturen aufgebrochen werden sollen.
Aufgrund der einfachen Umsetzung bietet sich ein Einsatz der Methode auch immer dann an, wenn du mit anderen Ansätzen und Methoden keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielen kannst.
Durchführung & Ablauf einer Reizwortanalyse
Effizient, recht simpel und vergleichsweise einfach durchzuführen – klingt gut? Nun möchtest du selbst einmal eine Reizwortanalyse durchführen und damit kreatives Potenzial freisetzen? Schauen wir uns zunächst die notwendige Vorbereitung und den Ablauf einer Reizwortanalyse an. Tipps zur Vorbereitung bzw. Auswahl passender Reizworte findest du weiter unten in diesem Beitrag.
- Definiere deine Aufgabenstellung / Problem
- Lege Zeit und Ort bzw. Medium fest. Während früher entsprechende Analysen weitgehend persönlich vor Ort durchgeführt wurden, sind inzwischen gerade für Unternehmen auch Videokonferenzen ein sinnvolles Vorgehen.
- Organisiere die passenden Teilnehmer. Im Rahmen von Unternehmen könnten das z.B. relevante Kollegen/Experten sein. Im Rahmen einer Produktentwicklung könnten dies mögliche Kunde sein.
- Erläutere zunächst die Reizwortanalyse anhand eines Beispiels (s.u.). Haben alle Teilnehmer das Prinzip gut verstanden und es bestehen keine weiteren Fragen?
- Dann stelle jetzt Deine konkrete Aufgabenstellung / Problem vor und definiere den zeitlichen Rahmen und den konkreten Ablauf (wann und wie gibst du die Reizworte in die Gruppe?).
- Teile der Gruppe die zufälligen Reizworte mit und los geht es! Je nach Aufgabenstellung, Gruppengröße und Anzahl der Reizworte sollten etwa 10-20 Minuten für die Problembearbeitung von 3 Begriffen bei freier Zeiteinteilung ausreichen.
Alternativ kannst Du der Gruppe auch häppchenweise alle 5 Minuten ein neues Reizwort mitteilen. So kann sich eine Gruppe weniger verhaken, aber ggf. bleibt dafür auch nur wenig Zeit für einen gerade guten Denkansatz. - Es ist in der Regel sinnvoll, dass die Teilnehmer ihre Ergebnisse schriftlich festhalten und am Ende vorstellen. In vielen Fällen kann es auch sinnvoll sein, das Einverständnis aller Teilnehmer vorausgesetzt, eine Video- oder Tonbandaufnahme der Gruppenarbeit anzufertigen, damit keine wichtigen Ergebnisse verloren gehen.
- Im Anschluss kann es je nach Aufgabe und Zielsetzung sinnvoll sein, die hilfreichsten Lösungsansätze / Ideen ausführlich detaillierter zu diskutieren bzw. auszuarbeiten. Bei größeren Gruppen bieten sich hierfür Kleingruppen oder sogar Einzelarbeit an.
Im Prinzip läuft eine Reizwortanalyse genauso ab, wenn sie alleine durchgeführt wird. Man ist dann der einzige Teilnehmer und kennt bereits die Fragestellung.
Fiktive Beispiele einer Reizwortanalyse
Um dir eine bessere Vorstellung von einer Reizwortanalyse zu geben, werde ich dir im Folgenden zwei Beispiele zeigen, wie das konkret aussehen könnte. Die Beispiele sind auch gut geeignet, um den Teilnehmern einer eigenen Reizwortanalyse das Prinzip zu erklären.
1. Schritt: Problemstellung definieren
Ein typisches Problem, bei dem man schnell ins Grübeln kommen kann, ist die Frage, was man Oma Moni zum Geburtstag schenken soll. Sie hat bereits alles, was sie braucht, aber liebt ihren Geburtstag und Geschenke über alles. Eine weitere Teekanne würde dieses Jahr wirklich nicht mehr passen. Das Ziel ist also, ein Geschenk zu finden, das ihr wirklich Freude bereitet und nicht nur als Staubfänger endet.
2. Schritt: Reizworte auswählen
Für dieses Beispiel wird die einfachste Variante der Reizwortanalyse verwendet: eine rein zufällige Auswahl von drei Begriffen, ohne weitere Zwischenschritte. Die zufälligen Begriffe werden aus einer Zeitung ausgewählt: 1. Rasen 2. Nacht 3. Aufbruch.
3. Schritt: Begriffe gedanklich miteinander verknüpfen
Rasen:
Kräutersamen mit Wärmelampe – Oma wollte schon lange ihren Kräutergarten wieder aufbauen. Jetzt könnte sie bereits alles für den Frühling anbauen und vielleicht ein Buch mit Tipps oder Samen von seltenen Kräutern bekommen.
Fußballkarten für das Freundschaftsspiel unseres Bundesliga-Clubs gegen den Stadtteil-Verein bei unserem Sportplatz um die Ecke. Das große Stadion mit Bundesliga-Spielen ist Oma zu aufregend, aber ein Spiel würde sie trotzdem gerne mal live erleben.
Rasen mit einem Formel-1-Rennwagen? Naja, vielleicht ist das eher nichts für sie.
Nacht:
Eine geführte Nachtwanderung in der historischen Altstadt könnte eine schöne Idee sein, da sie letztes Jahr beim gemeinsamen Einkaufen erzählt hat, wie schön sie die Gebäude findet.
Eine Übernachtung an der Nordsee mit einer Wattwanderung wäre auch etwas, das sie bestimmt als Geschenk mögen würde. Ich glaube, sie ist zu sparsam, um es sich selbst zu schenken.
Aufbruch:
Im Keller von Omas und Opas Haus soll schon seit Jahren ein Wanddurchbruch zwischen dem Waschraum und dem Lagerraum erfolgen. Ich als guter Handwerker könnte das einfach selbst aufbrechen und eine Tür einbauen, während sie im Urlaub sind.
Bald brechen Oma und Opa nach Teneriffa auf. Omas Akku von ihrem alten Handy ist immer so schnell leer, und sie weigert sich, ein neues Telefon zu kaufen. Für die anstehende Reise könnte sie vor ihrem Aufbruch gut eine Powerbank gebrauchen. Am Flughafen will sie beim Warten sicher Farmville spielen, aber vor Ort braucht sie auch noch Akku für Google Maps.
Zumindest sollte an diesem Beispiel deutlich werden, dass man nicht unbedingt bei Blumen oder einem Kinogutschein landen muss, wenn man das Problem kreativ mit einer Reizwortanalyse angeht.
Reizwortanalyse Beispiel 2: „Schwierigkeiten bei Marketing/Produktentwicklung“ – mit 3 zufällig ausgewählten Reizworten
1. Schritt: Problemstellung definieren
Unser neuer, praktischer, wieder verschließbarer Nussbeutel „Rezip-Nutbag“ verkauft sich leider nicht so gut wie angenommen. Eigentlich sollten tausende Schulkinder diesen täglich mit in die Schule nehmen und statt mit Süßigkeiten, zuckrigen Riegeln oder Nusscreme-Broten sich lieber mit gesunden Omega-Fettsäuren bis zum Mittagessen in der Schule durchfuttern. Trotz hohem Werbebudget und eindeutigen Umfragen (die gezeigt haben, dass Eltern sehr interessiert sind, dass ihre Kinder sich gesünder ernähren, und eine nahezu unbegrenzte Zahlungsbereitschaft signalisiert haben) ist der Beutel bisher ein Flop. Wir wollen nun mit der gesamten Produktabteilung anhand der Reizwortanalyse versuchen, eingefahrene Denkmuster aufzubrechen.
2. Schritt: Reizworte auswählen
Hier erfolgt die zufällige Begriffsauswahl aus einem Buch -> 1. „Wasser“, 2. „Hund“, 3. „Spielzeug“. Das tatsächlich zuerst zufällig ausgewählte Wort „Suspensionseffekt“ ignorieren wir (ausnahmsweise) und ersetzen es durch das nächste Hauptwort, da eine zielführende Problembearbeitung sich sonst schwierig gestalten würde.
3. Schritt: Begriffe gedanklich miteinander verknüpfen
Wasser:
Ein wasserdichter Nussbeutel für Surfer, Wanderer und Segler oder andere Sportler könnte die Zielgruppe erweitern. Eine Kooperation mit einem trendigen Anbieter für „Sportriegel in Kugelform“ könnte ebenfalls eine Möglichkeit sein. Vielleicht sollte unser Beutel auch eine Milchkammer bekommen, damit Kinder sich unterwegs ein Müsli mixen können?
Hund:
Ein praktischer, wieder verschließbarer Futterbeutel für Hunde könnte ebenfalls eine interessante Erweiterung sein. Vielleicht sollten wir auch Beutel mit Merchandising-Stars wie „Paw Patrol“ anbieten? Oder einen Beutel zum Umhängen für Bernhardiner statt Fässer mit Schnaps für Lawinenopfer?
Spielzeug:
Wir könnten eine zusätzliche Kommunikationskampagne als „Snackbeutel für den Spielplatz“ starten. „Andere Mütter werden neidisch, weil Sie als einzige Mutter kein quengeliges Kind haben!“ Hierfür benötigen wir eine griffige Kommunikation und Gestaltung der Verpackung für Kinder (z.B. Elsa und Olaf, Piraten oder Baumeister Bob). Das Ziel ist es, die Zielgruppe so lange mit Werbung zu bearbeiten, bis jedes Spielplatzkind ohne unseren Beutel quengelt: „Ich will auch so einen Snackbeutel wie Jonas-Benjamin!“
Tipps zur Auswahl passender Reizworte
Die Auswahl erfolgt zufällig, um möglichst kreative und unbeeinflusste Ergebnisse erzielen zu können. Hierfür eignen sich Bücher, Zeitschriften oder auch einfach Texte aus dem Internet.
1) Klassische Auswahl der Ursprungsworte
In einfacher Form wählst du zum Beispiel 3-5 Reizworte und verknüpfst diese mental direkt mit der Aufgabenstellung oder dem zu lösenden Problem, ähnlich wie in den obigen Beispielen dargestellt.
Im Prinzip kannst du jede Art von Text verwenden, sei es ein Buch, eine Zeitung, ein Internetartikel oder eine Gebrauchsanweisung. Allerdings solltest du darauf achten, dass wissenschaftliche Literatur oft Worte enthält, die für die praktische Anwendung zu speziell oder schlicht nicht jedem Teilnehmer geläufig sind.
Bei der Auswahl der Reizworte solltest du immer das nächste Hauptwort wählen, denn andere Wörter („der“, „ein“, „um“, „du“, „ist“ usw.) sind für die weitere Verwendung im Rahmen der Schlüsselwortanalyse nicht geeignet.
Die Auswahl der Reizworte ist jedoch nicht auf Texte als Quelle begrenzt. Du kannst beispielsweise auch ein Fernsehprogramm oder eine Radiosendung nutzen, um passende Worte zu finden. Wenn du auf einer Autofahrt bist und kein Buch dabei hast, kannst du an einer beliebigen Stelle bis 10 zählen und das dann im Radio gesprochene (Haupt-) Wort verwenden.
2) Variante: Assoziieren weiterer unverbundener Begriffe zu Ursprungsworten
Ist ein Reizwort ausgewählt, kannst du im Folgenden weitere einzelne Begriffe (unbedingt noch unabhängig von der Fragestellung) assoziieren bzw. deine Teilnehmer assoziieren lassen, anstatt weiter zufällig Worte auszuwählen. Bei dem Begriff „Baum“ könnten das z.B. sein: „Grün, Vogel, Blätter, Frühling, Äste, uralt“.
Erfahrungsgemäß ergeben sich aus dieser Herangehensweise sehr gut geeignete Begriffe. Die abgeleiteten Begriffe sind dann streng genommen nicht mehr ganz zufällig, aber lassen sich dafür meist gut auf die Fragestellung anwenden. Einen Versuch mit diesem Ansatz kann man auf jeden Fall empfehlen!
3) Alternativen zur Reizwortanalyse / Sonstige Eindrücke jenseits von Worten
Neben Worten lassen sich durchaus auch Bilder, Musik, Geräusche oder gar Gerüche als Eindrücke nutzen. Ob das sinnvoll ist, kommt dabei insbesondere auf die Fragestellung und die Kreativität der Teilnehmenden an.
Es handelt sich dann allerdings nicht mehr um die Reizwortmethode, sondern um andere „Zufallstechniken/Kreativtechniken“. Bei der Katalogmethode etwa wählst Du ein zufälliges Bild aus einem Katalog aus und wendest es dann auf die definierte Fragestellung vergleichbar zu dem obigen Vorgehen bei einem Reizwort an.
Letztlich sind alle Zufallstechniken oder auch andere Methoden, welche die Bisoziation mit weniger zufälligem Input nutzen (z.B. Semantische Intuition) sich recht ähnlich in Grundprinzip, Ablauf und Zielsetzung. Durch zufällige Anregungen/Eindrücke/Reize sollen kreative Denkprozesse angeregt werden und so kreative Lösungen gefunden werden, die ansonsten eher nicht gefunden worden wären.