Warum mussten Linkshänder früher mit rechts schreiben lernen?
Bist du „Linkshänder“? Oder „eigentlich Linkshänder“, der aber mit rechts schreibt? Oder vielleicht kennst du jemanden, der mit rechts schreibt, aber mit links schießt, wirft und werkelt? Früher bemerkte man Linkshänder sofort und war meist ein wenig befremdet. Dabei ist Linkshändigkeit prinzipiell angeboren. Aber Linkshändigkeit wurde in Schule und Erziehung bis vor kurzem bekämpft. In allen Teilen Deutschlands mussten Linkshänder mit der rechten Hand schreiben lernen. Warum? Damals gab es für die „Umerziehung“ von Linkshändern zum Schreiben mit rechts eine Menge Begründungen aus der Wissenschaft. Absurd? Dahinter steht eine kulturelle Tradition, die Abweichungen von einer als „gegeben“ betrachteten Norm als unnatürlich oder schädlich ansieht. Deswegen sind die wissenschaftlichen und kulturellen Begründungen für die „Umerziehung“ oder „Abgewöhnung“ bei Linkshändigkeit noch immer interessant. Sie sind noch heute unbewusst wirksam, und noch heute leiden viele Linkshänder*innen, „umerzogen“ oder nicht, noch unter ihren Folgen.
Inhalsverzeichnis
- 1 Brief und Handschrift als Ausdruck der Persönlichkeit
- 2 Rechtshändige Schreibnorm in der Schulpolitik
- 3 Der ideologische Hintergrund
- 4 Der wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Hintergrund
- 5 Ende der Diskriminierung?
- 6 Auswirkungen der Umerziehung von Linkshändern
- 7 Fazit
- 8 Anmerkungen und Erläuterungen
Brief und Handschrift als Ausdruck der Persönlichkeit
Die Handschrift hatte ihre Hoch-Zeit in der Briefkultur der letzten Jahrhunderte. Hier ist die Norm der Rechtshändigkeit noch am ehesten nachvollziehbar – und trotzdem falsch. Als das Bürgertum im 18. Jahrhundert mündig und selbstbewusst wurde, tauschte man in persönlichen Briefen seine Gedanken, Erfahrungen und Meinungen aus.1 Diese Briefe wurden natürlich per Hand mit Tinte auf gutem Papier geschrieben. Sie galten in Inhalt und Form als Ausdruck der ganz eigenen Persönlichkeit. Handgeschriebene Briefe waren das Mittel der direkten sozialen Kommunikation und des „Networking“ über die örtlichen Grenzen hinaus.
Handschrift und rechtsläufige Schrift
In diesen Briefen wurde die Handschrift zum Abbild der Persönlichkeit. Sie sollte regelmäßig sein und zugleich schwungvoll – leicht nach rechts geneigt – und so vom verlässlichen, tatkräftigen Charakter des Schreibenden künden.2 Linkshänder bzw. mit Links Schreibende hatten es beim Schreiben mit Tinte und Feder schwerer, da wir in Europa nun einmal von links nach rechts schreiben:3 Bei Linkshändern folgt die Hand der Schrift (bei Rechtshändern liegt sie rechts vom gerade Geschriebenen, wo noch nichts steht). Bei Links-Schreibern besteht die Gefahr, dass sie das gerade Geschriebene mit dem Handballen verdecken und die Tinte verwischen, bevor sie trocknen konnte. Natürlich könnte man die linke Schreibhand unter die Zeile legen und „von unten“ schreiben oder „von oben“. Das alles aber führte, so befand man man, zu einer unschönen, jedenfalls nicht charaktervollen und schwungvoll fließenden Schrift.
Diese Argumentation ist alles andere als zwingend. Eine genial radikale Lösung fand der Linkshänder Leonardo da Vinci schon vor der bürgerlichen Epoche: Er schrieb einfach in Spiegelschrift von rechts nach links. Das ist natürlich etwas extrem.4 Aber die „schreibtechnische“ Argumentation ist auch schlicht mit Blick auf andere Kulturen ziemlich absurd: Bekanntlich schreibt man die hebräische und die arabische Schrift seit jeher von rechts nach links. Auch dort gibt es überwiegend Rechtshänder, die damit offenbar kein Problem haben. Im Gegenteil, viele finden diese Schriften ausgesprochen dekorativ.
Rechtshändige Schreibnorm in der Schulpolitik
Dennoch wurde das rechtshändige Schreiben zu einer unumstößlichen Regel in Deutschland.5 Mit der Entwicklung des allgemeinen Schulwesens im 19. und 20. Jahrhundert6 wurden pädagogische Richtlinien und Schulvorschriften erlassen, die die Rechtshändigkeit fördern sollten. Die Begründung war nicht mehr nur jenes Ideal einer schönen Schrift. Es galt nunmehr auch als sicher, dass das Schreiben mit der rechten Hand allgemein zu besserer Disziplin und Konformität führen würde. Dazu später mehr.7
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Umerziehung bzw. „Abgewöhnung“ von Linkshändern intensiviert. Die nationalsozialistische Ideologie betonte Konformität und körperliche Normen, was sich auch auf die gleichgeschaltete Erziehung auswirkte.8 Linkshändigkeit wurde als Abweichung betrachtet, die korrigiert werden musste. Schulvorschriften und pädagogische Richtlinien forderten die Umerziehung von linkshändigen Kindern. Das wurde, wie alle anderen Erziehungsziele auch, regelmäßig mit großer Strenge durchgesetzt. Zuweilen band man den Kindern in traditionaler Pädagogik die linke Hand auf den Rücken,9 um eine linkshändige „Fehlentwicklung“ nachhaltig zu korrigieren.10
Umerziehung zum rechtshändigen Schreiben nach 1945
Aber auch nach dem Ende des Faschismus blieben die alten pädagogischen Praktiken und Vorurteile gegen Linkshändigkeit lange bestehen. Bis in die 1960er und 1970er Jahre wurden linkshändige Kinder in den Schulen genötigt, mit der rechten Hand zu schreiben, auch wenn sie nur selten noch damit rechnen mussten, mit dem Rohrstock Schläge auf die „böse“ Hand zu bekommen.11
Weil Schule Ländersache ist, existierten unterschiedliche Regelungen auch zu diesem Thema. Die Erziehung zur Rechtshändigkeit war nicht gesetzlich vorgeschrieben, wurde aber durch Lehrerausbildungen und Schulvorschriften aufrechterhalten. Es gab Anweisungen, die Linkshändigkeit als „Fehlentwicklung“ zu betrachten und entsprechend zu korrigieren.12 Analog zur weiteren Anwendung der Prügelstrafe kann man davon ausgehen, dass, je ländlicher und katholischer die Volksschulen waren, desto rigoroser die Rechtshändigkeits-Erziehung umgesetzt wurde.13
In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war die Umerziehung von Linkshändern ebenfalls gängig. Offizielle Dokumente der Bildungsministerien und Berichte von Betroffenen bezeugen, dass Lehrer angewiesen wurden, linkshändige Kinder zur Rechtshändigkeit zu erziehen.14
Die detaillierten Regelungen und Praktiken waren von Bundesland zu Bundesland verschieden. Sie wurden oft durch die individuelle Einstellung der Lehrkräfte und die Richtlinien der einzelnen Schulen beeinflusst. In vielen Fällen war die Umerziehung auch weniger eine formelle Vorschrift als eine weitverbreitete pädagogische Praxis.
Damit bietet das Gebot der Rechtshändigkeit beim Schreiben insgesamt ein anschauliches Beispiel, wie pädagogische Normen, einmal etabliert, auch ohne ausdrückliche Gesetze oder Vorschriften einfach weiter vor sich hin existieren, weil sie allen als „normal“ erscheinen.
Zum Beispiel: Schreibunterricht in den 1960ern
Wie sah die Erziehung zur Rechtshändigkeit in der Schule der Nachkriegs-Jahrzehnte konkret aus? Und wie setzte sich dort die Norm des rechtshändigen Schreibens gleichsam „wie von selbst“, auch ohne äußere Gewaltanwendung, um? Werfen wir einen Blick in den Schreibunterricht einer ersten Klasse der Volksschule einer aufgeklärten Großstadt um 1960.
Die Lehrerin15 führte den Unterricht frontal in großen, zum Teil in über-40-köpfigen Klassen. In den engen Bänken und Pulten war ohnehin kein Platz, sich und seine Utensilien beim Schreiben nach allen Seiten auszubreiten. Schon deshalb mussten alle zugleich dasselbe machen. Für individuelle Lernwege, Besonderheiten oder Neigungen war da kaum Platz und Zeit. Und im Hintergrund herrschte eine grundsätzliche Befürchtung: Jedes individuelle Zugeständnis, jede „Extrawurst“ hätte den „Eigenwilligkeiten“ der Kinder Tür und Tor geöffnet. Damit hätte man Disziplin und Ordnung im Klassenverband untergraben. Und das wollte schließlich niemand.
Lernziel Konformität
Diese Haltung galt auch für den Schreibunterricht. Die Kinder übten in der Regel zunächst gemeinsam Wellenlinien auf vorgegebenen geraden Linien. Dabei hatten alle Wellen gleich groß und gleich lang zu sein. Später kamen andere Figuren wie Aufstriche und Abstriche hinzu, auch sie in einheitlicher Norm. So wurde systematisch die „Schreibhand“ trainiert und diszipliniert, und das war selbstverständlich die rechte. Kinder, die mit der neugierigen Erwartung die Schule betraten, dort endlich richtig schreiben zu lernen oder das vielleicht teilweise schon konnten, wurden ebenso zu Geduld und Disziplin getrimmt wie diejenigen, die den Stift in der „falschen“ Hand hielten.
In einem nächsten Lernschritt durfte man dann Buchstaben schreiben – immer einen zur Zeit in endlosen Reihen, bis er perfekt und den anderen gleich aussah. Auch hier kein Raum zum Ausprobieren, zum Quatsch und Fehler Machen. Diese Didaktik der für alle gleichen, kleinteilig vorbereitenden formalen Schritte hat sich teilweise bis heute gehalten.16
Lernziel Sorgfalt
Schon bald übten die Kinder Buchstaben und Wörter mit einer Stahlfeder, die jedes zuvor in ein Tintenfass rechts von sich tauchte. Füllfederhalter waren in der Phase des Schreibenlernens verboten,17 weil sie durch zu glattes Gleiten über das Papier in allen Richtungen angeblich die Schrift verdarben, die sorgfältige Ausarbeitung der Schwünge und Bögen der einzelnen Buchstaben behinderten, zum flüchtigen „Klieren“ verleiteten. Aus dem selben Grund waren Kugelschreiber und andere modernere Schreiber ohnehin aus der Grundschule verbannt. Dass sie doch kleckerfrei waren, zählte nicht als Argument.
Angesagt war nicht Erleichterung, sondern Erziehung zu Sorgfalt und Disziplin. Ein Tintenfleck auf dem Papier war ein Unglück, zeugte von mangelnder Sorgfalt oder Geschicklichkeit. Er galt als Beweis, dass man sich nicht genug Mühe gegeben hatte, und brachte zu Hause und in der Schule mächtig Ärger ein. Die Schreibfedern aus Stahl waren an der Spitze oft ein wenig angeschrägt. Das entsprach dem – für das Rechts-Schreiben – vorgesehenen Neigungswinkel.
Ohnehin erschwerten es die harten, scharfen Stahlfedern auch, sie beim linkshändigen Schreiben von links nach rechts über das Papier zu „schieben“. Rechtshändig konnte man die Feder hinter der Schreibhand her von links nach rechts ziehen.
Aus all diesen Gründen galt das Schreiben mit der Stahlfeder als „erzieherisch wertvoll“, andere Schreibmittel als „verderblich“. Die „unveränderlichen“ technischen Vorgaben waren – oft unausgesprochen – weitere Gründe, gleich mit der „richtigen“ Hand zu schreiben, „wie alle anderen in der Klasse auch“.
Benotung der Handschrift
Ordentlichkeit und Sauberkeit waren auch beim Schreiben oberstes Gebot. Rechts Schreiben war Bestandteil des unausgesprochenen, aber selbstverständlichen Lernziels18 „Disziplin“, das in der normierten Wertigkeit der Schrift seinen Ausdruck fand.
Im Zeugnis der Volksschule hatte „Schrift“ durchgängig eine eigenständige Schulnote,19 ebenso wie dann „Rechtschreibung“ (Diktat), „Schriftlicher Ausdruck“ (Aufsatz), „Lesen“ und „Rechnen“. Am wichtigsten allerdings war bezeichnenderweise die Note in „Betragen“, die auch „Kopfnote“ oder „A-Note“ genannt wurde.20
Die Benotung der „Schrift“ bewertete
● Leserlichkeit
●Normgerechtheit der Buchstaben (je nach angewandter Schreibschrift-Art)21
●eine flüssige Linienführung ohne abzusetzen, Druckbuchstaben galten als Fehler
●gleichmäßiger bzw. den Buchstabenrundungen angemessener Federdruck (Schriftstärke)
●gleichmäßige und „angemessene“ Proportionen der Buchstaben in vertikaler und horizontaler Ausdehnung
● keine schräg „umfallenden“ Buchstaben. Wobei bei Jungen eine leichte regelmäßige Neigung nach rechts in Ordnung war, weil sie Dynamik ausdrückte. Bei Mädchen ging es eher um proportional saubere, ordentliche Aufrechtheit. Jedenfalls war eine Linksneigung oder gar unterschiedliche Form oder Neigung der Buchstaben verpönt usw.
Aberziehung der Linkshändigkeit „im Interesse des Kindes“
Das alles sei beim Schreiben mit der linken Hand viel schwieriger zu erfüllen, wenn nicht gar unmöglich. Dazu führte man weitere Argumente an: Die Linke würde dem Schreibenden die Sicht auf den Schriftfluss verdecken und damit dessen wohlgestaltete Fortführung verhindern. Zumindest würde es eine „ungesunde“ Rechtsneigung des Kopfes erfordern und eine verkrampfte Sitzhaltung. Um nicht die Tinte mit dem Handballen zu verwischen, müssten Linksschreiber die Schreibhand steil von oben oder von unten zur Zeile führen und/oder das Schreibheft normwidrig schräg hinlegen. Das begünstige eine linksgeneigte Schrift und ungenügende Ober- und Unterlängen der Buchstaben. Schreiben mit links führte also zu „Haltungsschäden“ und zu einer „unschönen“ oder gar „krakeligen“ Schrift. Das alles könne ja keiner wollen.
Diese Ideologie unterstellt allerdings – fälschlich –, dass eine rechtshändige Schrift all die angestrebten Charaktermerkmale gleichsam von Natur aus enthalte. Andererseits ignoriert sie völlig zwei wesentliche Fakten beim erzwungenen Schreiben mit der ungeschickteren Hand: Das fördert nicht gerade die erstrebte lockere, unverspannte Haltung. Und es zeitigt kaum brillante Ergebnisse. Für „umerzogene“ Linkshänder waren dauerhaft schlechte Noten in „Schrift“ so gut wie vorprogrammiert.
Alle Argumente für die Erziehung zum rechtshändigen Schreiben liefen darauf hinaus, dass sie es dem ABC-Schützen erleichtere, eine schöne, normgerechte Handschrift für Schule und Beruf auszubilden. Die Umerziehung sei daher doch „zu seinem eigenen Besten“, erleichtere ihm das Leben und den Erfolg. Die Erziehung zur Anpassung an eine vorherrschende Norm legitimiert sich mit unterstelltem individuellen Interesse. Die Anpassung verewigt wiederum die Norm und diskriminiert die Abweichung davon. Da ist die Schreiberziehung im übrigen kein Einzelfall.
Der ideologische Hintergrund
Eigentlich stellen die aufgeführten praktischen Gründe zum rechtshändigen Schreiben lauter technisch lösbare Probleme dar – sei es durch eine andere Schreibhaltung, Stiftführung oder durch andere Schreibmittel.22 Warum also hatte der Kampf gegen die Linkshändigkeit in der Schule eine so große Bedeutung? Warum wurde er durch so viele Generationen von Lehrern so rigoros und anhaltend geführt?
Kulturelle Wurzeln der Diskriminierung der Linkshändigkeit
In unserer Kultur gibt es eine sehr lange, oft unterschwellige Tradition, die „Rechts“ entweder als bevorzugt oder als „normal“ betrachtet. „Links“ hingegen gilt ihr traditionell als anrüchig, sonderlich und verdächtig. Das ist in vielen Beispielen sichtbar.
Religiöse Werte
So sitzt Jesus in der christlichen Religion nach seiner Himmelfahrt „zur Rechten Gottes“.23 Das wirkt fort bis in den weltlichen Alltag: Bis heute sitzt beim festlichen Essen der Ehrengast zur Rechten des Gastgebers, die Tischdame zur Rechten des begleitenden Herrn und seiner Aufmerksamkeit. Im Alten Testament erstreckt sich Gottes Erbarmen auch auf diejenigen Menschen und Kreaturen, die Rechts und Links nicht unterscheiden können.24 Aber im Kontext dazu, dem Aufruf zur Umkehr vom bösen Weg, stehen Rechts und Links für Gut und Böse.25 Laut Bibel richtet ein weiser Mensch sein Herz – d.h. sein Wollen, Denken und Fühlen – auf den rechten Weg aus, während ein törichter Mensch den linken und damit den unrechten Weg wählt.26
Kriegserfahrung
Schon im Alten Testament gelten linkshändische Krieger als besonders gefährlich,27 zumal gegen sie „seitenverkehrt“ zu kämpfen ungewohnt und unerwartet war.28 Aus dem kriegerischen Kontext rührt auch der mittelalterliche Brauch, sich zu Begrüßung und Zeichen der Einigkeit die rechte Hand zu geben:29 Zumindest in dem Augenblick konnte man – genauer: ein Rechtshänder – nicht die Waffe ziehen. Bei einem Linkshänder hingegen musste man auch da misstrauisch auf der Hut sein.30
Sprachliche Diskriminierung: das böse Links
Auch in der Sprache gibt es zahlreiche Verbindungen von „links“ mit „schlecht“ bzw. „Unheil“.
Sprachbilder der Antike
Das findet sich z.B. schon seit ca. dreitausend Jahren in der griechischen Sprache und Kultur. Bis heute bezeichnet man dort „links“ und „die Linke Seite“ ausschließlich mit der Umschreibung „die Bessere“:31 Man will bzw. wollte das Unheil nicht heraufbeschwören, das mit der bloßen Benennung der linken Seite untrennbar verbunden war.32
„Links“ heißt im Lateinischen, der anderen Wurzel der europäischen Kultur, „sinister“. Das lateinische Wort bedeutet sowohl die Seite als auch im übertragenen Sinne „linkisch, ungeschickt“, sowie „unheilvoll, unglücklich.“33
Deutsche Sprache
Auch in der deutschen Sprache geht die wertende Unterscheidung von Rechts und Links weit über Kriegstechnik hinaus. So bedeutet „recht“ auch moralisch „richtig“ und „aufrecht“. „Link“ hingegen ist ein hinterlistiger Zeitgenosse oder eine unlautere Gesinnung.34 Die gleiche Bedeutung hat das wohl aus dem Französischen übernommene, heute altmodische Fremdwort „sinister“.35
Die linke36 Seite eines Stoffes oder Kleidungsstücks ist die innere, nicht zum Zeigen gedachte. Eine „Ehe zur linken Hand“ war unstandesgemäß und bedeutete die rechtliche Minderstellung von Frau und Kindern gegenüber dem Mann.37 Die relativ neuen, ehedem jugendlichen Verben „linken“ oder „ablinken“ bedeuten, ganz in traditioneller Ableitung, „betrügen“ oder auch (aus Automaten) „stehlen“.38
Auch sprachliche Wendungen sind da eindeutig wertend: etwa „mit dem linken Fuß aufgestanden“ oder „zwei linke Hände haben“. Was man „mit links“ macht, bedarf keiner Anstrengung. Was man „links liegen lässt“, ist unwichtig. Die Ableitung „linkisch“ steht nach wie vor für „ungeschickt, tollpatschig“. Und „Linkepatsch“39 oder auch „Linkspfot“40 waren noch in den 1960er Jahren die freundlicheren Bezeichnungen, die einem mit erzieherischem Unterton von Erwachsenen (und hänselnd von Mitschülern) entgegengebracht wurden.
„Gute Hand“ und „schlechte Hand“
Das Kind sollte dem Erwachsenen, besonders dem Gast, die „gute Hand“ und nicht „die böse Hand“ geben, verbunden mit Knicks oder Diener.41 Diese Aufforderung war noch bis vor wenigen Jahrzehnten gängiger Teil der Erziehung.42 Eine weitere Bedeutung hatte die rechte Händigkeit beim Essen, in der ständigen Mahnung, Messer und Löffel in die „richtige Hand“ zu nehmen.43 Allgemein galt im Volksglauben fast bis in die Jetztzeit weit verbreitet Linkshändigkeit – wie etwa auch rote Haare oder ein Feuermal – als Anzeichen eines „schlechten Charakters“. Zumindest wurden Eltern solcher Kinder von anderen Erwachsenen bedauert, weil sie „mit Vorurteilen zu kämpfen“ haben würden.
Der wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Hintergrund
Die Normen der Handschrift samt Benotung gingen weit über die Schulwelt hinaus. Die Beurteilung der Schrift war Teil der Beurteilung einer Person, namentlich ihres „Charakters“. Die Vorstellung vom „Charakter“ einer Person als grundlegende, unverrückbare Wesensausprägung44 ist Jahrhunderte alt und hat sich auch aus der faschistischen Ideologie ungebrochen in die Nachkriegszeit hinübergerettet.
Graphologie: Schrift und „Charakter“
Zum Thema „Schrift und Charakter“ gab es sogar eine eigene Wissenschaft. Die Graphologie ging davon aus, dass sich in der Handschrift eines Menschen untrüglich dessen persönlicher Charakter offenbare. Durch Analyse und Kombination der Schrift-Merkmale könne man seine grundlegenden Eigenschaften analysieren. Und damit könne man gar auch „sein Wollen und sein Handeln“ erkennen. Die Graphologie sollte „die menschlichen Eigenschaften klarlegen und zeigen, wie sich diese in der Handschrift genau widerspiegeln und erkennen lassen, daß die Art der Persönlichkeit in den Schriftzügen sich ungewollt ausprägt.“ Verallgemeinert: „Das geschriebene Wort ist ein Spiegel der Seele“, wurde behauptet.45 Denn „haarscharf decken sich Wesensart und Schreibart“. Das müsse auch selbstverständlich so sein, denn „Denken und Fühlen steht völlig im Einklang mit den Gehirnfunktionen, denen die Schrift entströmt.“46 Diese Eindeutigkeit des Charakters gelte nach einiger Übung sogar für die „Fußschrift“ von Menschen, die ihre Hände verloren hätten.47
Kriterien der Schriftbeurteilung
Auch für die „wissenschaftliche“ Beurteilung der Schrift waren ihr regelmäßiger Fluss und ihre „richtige“ Neigung wesentliche Merkmale. Das aber war für Linksschreiber eine zusätzliche Schwierigkeit. Für den Graphologen bewies eine mäßige Rechtsneigung über den tatkräftigen Charakter hinaus – zusammen mit anderen Merkmalen – auch „Anpassung“. Diese konnte unterschiedlich zwischen „Berechnung und Hingabe“ begründet sein. Zu starke Rechtsneigung verriet allerdings innere Haltlosigkeit, für den Graphologen bestenfalls eher Begeisterungsfähigkeit. Eine Linksneigung der Schrift – wie sie bei Linksschreibenden näher liegt – stand für zögerliche Gehemmtheit oder gar innere Ablehnung.48 Eine allzu steil senkrechte Schrift eignete sich bestenfalls für Buchhalter.
Dabei gestand man in Schule und Wissenschaft den Jungen eher eine schwungvolle Rechtsneigung zu. Bei den Mädchen ging es vorrangig um aufrechte, ordentlich gerundete Symmetrie. Für sie galten auch in der Graphologie allerdings andere zu erkennende Eigenschaften. Eine regelmäßige, ordentlich saubere Schrift verriet hier „tüchtig, nett, ordentlich, fleißig, Häuslichkeit“. Beim „Stubenmädchen“ bewies die Schrift „sehr sauber, ordentlich“. Bei der „leitenden Krankenschwester“ zeige sich (in ihrer Schrift mit leichter Rechtsneigung) „nur für die Kranken lebend“.49
Am schlimmsten aber war beim Schriftbild mangelnde Regelmäßigkeit: Sie kündete von disziplinloser Charakterlosigkeit oder umgekehrt. Dicke, gar verschmierte Schrift50 offenbarte ganz klar geistlose Genusssucht oder auch Materialismus.51 Jene wohlproportionierte, schwungvoll mäßige Rechtsneigung zu erstellen galt jedoch dem Lehrpersonal beim linkshändigen Schreiben als geradezu unmöglich.
Schrift als Karriere-Entscheider
Die Schrift und ihre „wissenschaftliche“ Begutachtung konnte entscheidend sein für Beruf und Karriere. Noch in den 1960ern forderten viele Firmen bei Bewerbungen Handschriftlichkeit. Das übliche ausführliche Bewerbungsanschreiben war ebenso wie der Lebenslauf handschriftlich als Fließtext in ganzen Sätzen zu verfassen. In größeren Firmen wurden diese Bewerbungen dann professionellen Graphologen zur Analyse übergeben. Die stellten für viel Geld umfangreiche Gutachten über die „Persönlichkeit“ des Bewerbers auf.52
Graphologie als Mythos
In den stürmischen Aufschwung-Jahren nach dem Krieg gelang es der Graphologie, sich erneut als Wissenschaft zu etablieren. So fiel längere Zeit nicht auf, dass ihre Ergebnisse alles andere als konkludent und widerspruchsfrei waren und Blindtests nicht standhielten.53 So galten z.B. lange Unterlängen von Buchstaben mal als Zeichen von Charakterstärke und Willen, mal aber auch als Symptom ausufernder Sexualität. Von der schulischen Norm abweichende, „häßlich geformte Buchstaben“ galten bei „niederem Niveau“ als Zeichen der „Klatschsucht“, bei „Gelehrten“ hingegen als Zeichen individueller Klugheit, namentlich „persönlich und durchgeistigt“ und „voll Eigenart“. 54
Und auch der grundlegende Widerspruch der Schriftanalyse fiel lange Zeit kaum jemandem auf: Einerseits zeigte die Handschrift angeblich unweigerlich den Charakter des Schreibenden auf; andererseits musste er zu seiner – selbstverständlich diszipliniert rechtshändigen – Handschrift erst so rigoros und ausgiebig hinerzogen werden.
Kognitive Theorien als Begründungen für rechtshändiges Schreiben
Begründungen aus der Erziehungswissenschaft
Im 19. Jahrhundert, als sich das Schulwesen verallgemeinerte, wurde auch die Pädagogik wissenschaftlich. Sie stützte sich auf damals neu entstandene Theorien der körperlichen und psychischen Entwicklung. Es entstand eine systematisierte, entwicklungspsychologisch begründete Theorie des Lernens und Lehrens. Dabei gewann etwa der deutsche Pädagoge und Philosoph Johann Friedrich Herbart im 19. Jahrhundert großen Einfluss. Seine Theorie beinhaltete eine komplexe, in Stufen angelegte Entwicklungs- und Methodenlehre. Daraus begründete er eine systematischen Erziehung des heranwachsenden Kindes, verstanden als Charakterbildung in Anpassung an gesellschaftliche Normen. Das entsprach der Denkweise im Kaiserreich und fand eine entsprechend breite Aufnahme.55 Auch danach bestimmte diese Auffassung von Pädagogik lange das Schulwesen. Sie kann daher auch als Grundlage für die Erziehung zur Norm der Rechtshändigkeit gelten.
Begründungen aus der Neurologie
Eine zweite wissenschaftliche Grundlage für die Rechtshändigkeits-Erziehung fand sich in der Neurologie, namentlich in der Erforschung der Hirnlateralisation. Diese unterscheidet, dass die linke und rechte Gehirnhälfte jeweils für die Wahrnehmung verschiedener Funktionen zuständig sind. Ihr führender Vertreter, der deutsche Neurologe und Psychiater Julius Möbius56 argumentierte, dass die rechte Hand durch die linke Gehirnhälfte gesteuert wird, welche auch für Sprache und andere kognitive Funktionen zuständig ist. Daher, so seine weit verbreitete Folgerung, führe die fleißige Nutzung der rechten Hand zu einer besseren Herausbildung intellektueller und motorischer Fähigkeiten.
In dieser Grundtheorie über die Hirnlateralisation steht herkömmlich die linke Gehirnhälfte für Intellektuelles und Rationales, die rechte hingegen für Gefühl und Assoziation. Aufgrund der heutigen Möglichkeiten der elektronischen Messung von Gehirnaktivitäten und mittels MRT weiß man allerdings, dass auch diese Grundannahme etwas zu pauschal geraten ist. Heutzutage beschreibt man die funktionalen Schwerpunkte der Gehirnhälften weniger diskriminierend. Man fasst sie als Entwicklung einer Funktionsteilung, in der etwa die linke Hirnhälfte vorrangig für eine sequenzielle, und die rechte Hirnhälfte verstärkt für eine ganzheitliche Informationsverarbeitung zuständig seien.57 Das kann im einzelnen durchaus von Individuum zu Individuum variieren. Zudem weiß man, dass zur Wahrnehmung von komplexeren Hirnfunktionen mehrere verschiedene und „verstreute“ Hirnareale zusammenwirken.58
Wie funktionieren die Gehirnhälften bei Linkshändern?
Heute ist auch bekannt, dass sich die „Spezialisierungen“ der Gehirnregionen (nicht nur zwischen links und rechts) erst in der Entwicklung des heranwachsenden Menschen59 herausbilden. Über die Funktionen im einzelnen und ihre Verbindungen ist hingegen noch sehr wenig gesichert bekannt. Man geht davon aus, dass Sprachfunktionen überwiegend durch die linke Gehirnhälfte kontrolliert werden – jedenfalls bei Rechtshändern. Bei Linkshändern vermutet man hingegen oft eine überwiegende Kontrolle durch die rechte Hirnhälfte, aber es gibt auch beidseitig verortete Steuerungsfunktionen. Andere Ansätze differenzieren, dass es bei Links- oder Beidhändigen manchmal zu einer Reduktion oder sogar zu einer Umkehr anderer Hirnlateralisationen komme, aber keineswegs immer.
Man muss also feststellen: Die Beziehungen zwischen Linkshändigkeit und Hirnstruktur sind noch weitestgehend ungeklärt.
Die Unsicherheiten bei den Ergebnissen hängen zum einen damit zusammen, dass Funktionen nicht stur nur von den „vorgesehenen“ Regionen wahrgenommen werden müssen. Beispielsweise können bei Gehirnschädigungen durchaus andere Regionen „übernehmen“, gerade in der Sprachentwicklung.60
Diskriminierung behindert Erkenntnis
Aber die Ungewissheit ist auch „selbstgemacht“: „Um die Variabilität der Daten zu reduzieren, werden Linkshänder häufig aus den Kohorten von neurowissenschaftlichen sowie genetisch-neuroanatomischen Studien ausgeschlossen.“61 Vereinfacht gesagt: Weil die Minderheit der Linkshänder alles noch komplizierter macht, schließt man sie aus den Untersuchungen lieber einfach aus. Die Folge: Man weiß nicht, ob oder wieweit die bei Rechtshändern gemachten Ergebnisse allgemeingültig sind. Oder treffen sie eben doch nur auf untersuchte Rechtshänder zu?
Im übrigen haben wir hier ein bekanntes Muster bei der Erforschung und Betrachtung des Menschen: Der bestimmende Teil der Menschheit gilt möglichst lange als allgemeine Norm, weil der andere Teil einfach nicht oder nicht gesondert betrachtet wird. Dessen Eigenschaften werden ignoriert oder auch als abnorm diskriminiert.62
Linkshändigkeit beginnt im Mutterleib
Einiges steht durch die neurologische Wissenschaft immerhin fest. Ungefähr 10 % der Erwachsenen sind – zumindest in unserem Kulturkreis – Linkshänder. Die Händigkeit ist ursprünglich nicht an- oder abtrainiert. Man weiß heute, dass eine entsprechende Differenzierung der funktionalen Gehirnregionen bereits im Mutterleib stattfindet, die schon dort mit Ansätzen unterschiedlicher Händigkeit einhergeht.63 Das weist darauf hin, dass schon die genetischen bzw. epigenetischen Programme unterschiedliche Hirntätigkeit und damit in der Folge unterschiedliche Händigkeit kennen. Der genaue Zusammenhang ist jedoch, wie gesagt, noch ungeklärt.
Links- bzw. Rechtshändigkeit ist mithin ein Teil des Spektrums normaler menschlicher Vielfalt. Die vielen Erscheinungsformen menschlicher Diversität zu akzeptieren, fällt auf vielen Gebieten schwer. Denn sie erzeugen Verunsicherung: Wenn es „Abweichung“ gibt, ist das als „normal“ Bekannte und Empfundene vielleicht doch nicht normal? Und was ist dann überhaupt „normal“? Das kann sogar zu der Frage führen, an welche Gewissheit man sich (in einer veränderlichen Welt) überhaupt noch halten kann. Mit rationalem Verstand ist diese Verunsicherung andererseits nicht einfach nachvollziehbar: Was an einer Erscheinungsform der menschlichen Vielfalt wie der Händigkeit könnte bedrohlich sein? Dennoch sitzt das unbehagliche Misstrauen auch hier tief.
Ende der Diskriminierung?
Während also die Diskriminierung der Linkshändigkeit bis in die aktuelle Forschung hinein andauert, hat sie immerhin in bezug auf die Arbeits- und Schreibhand ihre Bedeutung verloren. Das ist allerdings noch nicht lange so. Erst durch den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Wandel in den 1970er und 1980er Jahren wurde die Umerziehung zur Rechtshändigkeit nach und nach aufgegeben. Die Frage verlor einfach an Bedeutung für die Gesellschaft.
Das Ende der Handschriftlichkeit
Schreibmaschinen gab es bis in die Babyboomer-Jahre hinein nur in Büros und bei Profis. Und es galt noch lange als grob unhöflich, private Briefe, etwa zum Geburtstag, mit einer „seelenlosen“ Schreibmaschine zu tippen.64 In den 1970ern hatten dann auch die zahlreich werdenden Studenten Schreibmaschinen zum Abfassen ihrer Seminararbeiten. Damals verlagerte sich der Studienbetrieb von (mitzuschreibenden) Vorlesungen mehr zu Seminaren mit vervielfältigten studentischen Referaten.65
Der Computer als „intelligente Schreibmaschine“ setzte sich erst gegen Ende der 1980er durch. Die Verdrängung des Briefes durch elektronische Kommunikation ist bestenfalls 20 Jahre alt und noch immer nicht abgeschlossen.66 Die Handschrift spielte durch die Verbreitung des Personal Computer zumindest im öffentlichen Leben und besonders bei Bewerbungen keine Rolle mehr.67 Zugleich wurde dann auch in den Schulen der anhaltende Kampf um richtiges und schönes Schreiben lockerer.68
Arbeitsnormierung und Lösungskreativität
Zeitlich analog nahm auch die Diskriminierung der Linkshändigkeit im Berufsleben ab. In der industriellen Fertigung bestimmte bis in die 1980er Jahre kleinteilige Arbeitsteilung die Abläufe. Sie sollte die Effizienz steigern. Dabei wurden an den einzelnen Fertigungsstationen zeitlich abgestimmt immer gleiche, genau vorgeschriebene Handgriffe ausgeführt.69 Die Ausstattung der Arbeitsstationen und die Maschinen waren selbstverständlich rechtshändig ausgelegt.
In den letzten Jahrzehnten70 spielen der schnelle Wandel der Kundenanforderungen71 und komplexe, störungsanfällige globale Kooperationsabläufe eine immer entscheidendere Rolle. Flexibilität und Vielfalt hielten daher auch in der Fabrik Einzug. So erkannte man allmählich auch, dass es produktiver war, wenn jeder auf seine Weise größere Arbeitsschritte ausführte und koordinierte. Dabei ist es dann auch egal, mit welcher Hand man das Werkzeug führt oder Maschinen bedient.
In der Entwicklung zur postindustriellen Gesellschaft weicht das Erfordernis genormter händischer Tätigkeit ohnehin der Anwendung oder gar Entwicklung von Elektronik. Die erfordert in höherem Maße vernetztes Denken und Lösungskreativität. Zwangsumpolungen auf rechts, etwa zur Stützung von Autorität, Disziplin und Ordnung, wären da kontraproduktiv.
Auswirkungen der Umerziehung von Linkshändern
Seit einiger Zeit sind die möglichen Folgen der Umerziehung von Linkshändern zur Rechtshändigkeit recht ausführlich beschrieben.72 Demnach gibt es verschiedene negative Auswirkungen, die nicht nur psychische, sondern auch physische Aspekte umfassen. In der Literatur werden als Hauptfolgen aufgeführt:73
- Psychische Belastungen: Viele Betroffene berichten von erheblichen psychischen Belastungen wie Stress, Angst und einem verminderten Selbstwertgefühl. Die ständige Korrektur und das Gefühl, „anders“ oder „falsch“ zu sein, führten mitunter zu langfristigen emotionalen Problemen.
- Feinmotorische Schwierigkeiten: Da die Feinmotorik der linken Hand nicht entsprechend entwickelt wird, kann es zu Schwierigkeiten bei feinmotorischen Aufgaben kommen. Die rechte Hand, die erzwungenermaßen benutzt wird, ist oft weniger geschickt. Das kann nicht nur das Schreiben sondern auch andere Tätigkeiten beeinträchtigen.
- Lern- und Konzentrationsprobleme: Die zusätzliche Anstrengung, mit der ungewohnten Hand zu schreiben, kann zu Konzentrationsproblemen und einer geringeren schulischen Leistung führen. Die kognitive Belastung ist höher, da die Kinder sich nicht nur auf den Lernstoff, sondern auch stark auf die motorischen Abläufe konzentrieren müssen.
- Sprachliche und kognitive Schwierigkeiten: Studien haben gezeigt, dass es bei einigen Kindern zu Sprachproblemen und anderen kognitiven Schwierigkeiten kommen kann, wenn sie gezwungen werden, die nicht-dominante Hand zu benutzen. Dies hängt vermutlich mit der Hirnlateralisation, unter anderem mit der Ausbildung der Verbindung zwischen Handmotorik und Sprachzentren im Gehirn zusammen.
- Psychosomatische Beschwerden: Einige Betroffene entwickeln psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder sogar Tics als Reaktion auf den Stress und die Anstrengung, die mit der Umerziehung verbunden sind.
Diese Erscheinungen treffen sicherlich nicht bei allen im gleichen Maße zu, schon weil die Umstände und sonstigen Begleitfaktoren einer solchen Umerziehung nicht einheitlich sind. Insbesondere gehirnphysiologische Vorgänge sind schwierig zu beurteilen, zumal man grundsätzlich nicht weiß, wie sich die einzelnen Funktionen arbeitsteilig im Falle einer Nicht-Umerziehung entwickelt hätten.
Nachdem im Netz die Schilderung negativer Folgen oft dramatisch Platz griff, mischen sich darunter neuerdings auch positive Betrachtungen von Betroffenen. Sie bemerken, dass für sie die Auseinandersetzung mit ihrer Linkshändigkeit und mit den Widerständen in der Umwelt auch eine Chance bedeutete. Es war bzw. ist ihnen möglich, sich mit ihrer Entwicklung und ihren Einflüssen auseinanderzusetzen. Sie konnten schon von früh an lernen, selbstbewusster mit „Gegenwind“ und Diskriminierung umzugehen, Andersartigkeit bei sich und anderen anzunehmen. Und vielleicht bewirkte die Konstellation der unterschiedlichen Betätigung mit beiden Händen gar zusätzliche, besondere Vernetzungen im Gehirn.74
Fazit
Die Umerziehung von genuinen Linkshändern zum rechtshändigen Schreiben ist ein illustratives Beispiel für die irrationale Aufrechterhaltung von Normen. Sie werden als natürlich angesehen, als schon immer vorhanden. Gegenteilige Verhaltensweisen werden diskriminiert. Unterstützend wird die Norm vielfältig „wissenschaftlich“ und lebenspraktisch begründet, wobei gegenläufige Fakten und Zweifel möglichst lange ignoriert werden.
Erst die technologische Entwicklung hat einen wesentlichen Anteil daran, dass die Norm der Rechtshändigkeit fraglich wurde und zumindest ein Großteil ihrer Wirkung verlor. Aber die Erfahrung mit dem Beispiel Umerziehung ist bedenklich: Ist die „Normalität“ erst einmal etabliert, wird sie erschreckend lange von Generation zu Generation weitergereicht, indem Kinder in ihrer Erziehung an sie angepasst werden. Das geschieht angeblich zu ihrem eigenen Besten: damit sie es später einmal leichter hätten im Leben, statt „anzuecken“. Individuelle psychische Kosten der Anpassung werden dabei als unvermeidlich vernachlässigt. Damit trägt die normative Ideologie des Primats der Rechtshändigkeit zu einem Weltbild bei, in dem Vielfalt als Abweichung beargwöhnt und Anpassung zum Wert erhoben wird.
Anmerkungen und Erläuterungen
Zur Entstehung des Textes: Hintergrund ist ein zufälliges Gespräch, als zwei „umerzogene“ Linkshänder das voneinander bemerkten. Insbesondere die Schilderung aus Abschnitt 2.2. und 2.3. zu Schreibunterricht und Benotung in den 1960er Jahren beruhen auf persönlicher Erfahrung.
- Literarisch war das die Blütezeit des „Briefromans“. Der populärste war wohl Goethes „Leiden des jungen Werther“. Der bombardiert da einen imaginären Freund Blog-artig mit Briefen über seine Erlebnisse, seine Gefühle und seine subjektive Weltsicht. Das schuf dem Roman eine jugendliche Fangemeinde, die sich zum Teil wie Werther in Blau und Gelb kleidete. Die etablierten Kulturwächter waren besorgt und diskutierten ein Verbot des Romans, weil er zu unkontrollierter Emotionalität und angeblich auch zu Selbstmorden geführt habe…
- Das war allerdings in der Praxis eher selten der Fall: Viele Handschriften gerade berühmter Persönlichkeiten waren kaum bzw. nur für ganz Nahestehende zu entziffern – aber das galt dann eben als Zeichen und Privileg der genialen Persönlichkeit.
- Als das Alphabet aus der Bilderschrift entstand (ca. 17. Jh. v. Chr.), schrieb man zumindest überwiegend von rechts nach links, namentlich in den semitischen Schriften, dann auch in der aramäischen Schrift, aber auch im Phönizischen. Aramäisch war die Muttersprache von Jesus und auch eine der Sprachen der Bibel-Urschriften. Das phönizische Alphabet ist der direkte Vorläufer, aus dem sich das griechische, kyrillische und unser lateinisches Alphabet entwickelt haben. Aus den semitischen Schriften entstanden die arabischen und hebräischen Schriften, die noch heute von rechts nach links geschrieben werden. So gesehen, ist unsere Schriftrichtung von links nach rechts also historisch recht jung. Warum genau es in den europäischen Schriften dann zu einer Umkehr der Schriftrichtung kam, lässt sich nur vermuten. [Einen geschichtlichen Überblick mit Abbildungen von linksläufigen Schriften gibt es hier.]
- Spiegelschrift begrenzte auch damals dramatisch die Zahl der möglichen Leser und Follower auf die wirklich Interessierten – vielleicht gewollt.
- zu den wissenschaftlichen Begründungen unten in Kapitel 4.2. mehr.
- Ein allgemeines Schulwesen bildete sich seit dem 19. Jahrhundert im Zuge bürgerlich-nationaler Bestrebungen heraus. Eine allgemeine Schulpflicht aber gab es erst seit 1918, analog zur Einführung eines allgemeinen parlamentarischen Wahlrechts.
- siehe Kapitel 4.2., insbesondere die neurologische Begründung unter 4.2.2.
- So gab es schon für den Kindergarten seitenlange Tabellen, welche körperlichen Leistungen und Merkmale für welches Alter statistisch zu erwarten waren, etwa die Ergebnisse im 50-Meter-Lauf, Weitsprung, Hochsprung und Ballwurf bei dreijährigen, vierjährigen und fünfjährigen Kindern. Die Leistungen seien Resultat der „geistigen und Willensreife“ und Maßstab, ob die Kinder bei jedem Wettkampf „ihr Bestes geben“. [Beispiel aus: Dr. med. Richard Benzing, Grundlagen der körperlichen u. geistigen Erziehung des Kleinkindes im nationalsozialistischen Kindergarten (= Schriftenreihe der NSV im Zentralverlag der NSDAP), s. 53 ff.]
- Bei derlei rüden Methoden handelte es sich allerdings nicht um ein deutsches Alleinstellungsmerkmal. Aus dem Ausland wird berichtet, dass bei renitenten Fällen/Kindern die „falsche“ Hand einfach eingegipst wurde.
- Diese Info von „früher“ gab es nach 1945 als nachsichtig drohende Erzählung von Eltern linkshändiger Kinder, verbunden mit der Aufforderung, doch lieber freiwillig die rechte Hand zu nehmen. Die unterschwellige Drohung, dass man auch noch ganz anders könne, aber ja liebevoll gar nicht wolle, ist Bestandteil der „Schwarzen Pädagogik“. Auf ganz anderer, extremer Ebene findet man dieses Verfahren des „die Instrumente Zeigen“ in der mittelalterlichen Inquisition bis zu neuzeitlicher „Gehirnwäsche“ als systematisches Mittel: Der Delinquent soll sich „freiwillig“, vorauseilend und vertrauend dem väterlichen Wohlwollen unterwerfen, statt Widerständigkeit zu entwickeln. [Eine eindrückliche, ausführliche Schilderung dieses Mechanismus am Beispiel von chinesischen Umerziehungslagern bietet das Buch von Bao Ruo-wang, Gefangener bei Mao, (Fischer) Frankfurt/M. 1977]
- Eine modernere, „humanere“ Methode war in den Folgejahrzehnten, die linke Hand mit Tesafilm am Tisch festzukleben, wie Betroffene im Netz berichten. Aber selbst Schläge mit dem Rohrstock auf die „böse Hand“ sind noch zu Ende der 1950er bezeugt. Die Prügelstrafe allgemein bzw. die „körperliche Züchtigung“ als pädagogisches Mittel lebte auch in den Schulen noch mindestens bis in die 1970er Jahre fort und wurde erst im Jahr 2000 unter Strafe gestellt.
- Das ist z.B. für die 1950er und 1960er Jahre in Nordrhein-Westfalen belegt, siehe die folgende Anmerkung
- Dies und folgendes findet sich u.a. in den Büchern von Johanna Barbara Sattler, u.a. Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn, Augsburg 15./ 2024. Viele Beispiele aus West und Ost finden sich auch auch im Seminararbeits-Abschnitt Die Situation von Linkshändern in der Vorwendezeit auf der Website Fakten über Linkshändigkeit.
- [Siehe z.B. Johanna Barbara Sattler, Links und Rechts in der Wahrnehmung des Menschen. Zur Geschichte der Linkshändigkeit, Donauwörth 2000. Beispiele aus der DDR finden sich auch auch im genannten Seminararbeits-Abschnitt Die Situation von Linkshändern in der Vorwendezeit.] Die Umerziehung erfolgte in der DDR sogar bis zum Mauerfall [So Judith Bremer, zitiert im Artikel „Unentdeckte Linkshänder“ von Merle Bornemann] Der lockere Demo-Spruch der westlichen DKP-Jugend „Eins ist wichtig: Links ist richtig“ galt mithin „drüben“ offenbar nicht.
- Der Grundschullehrer-Job war damals, in traditionaler Rollenzuweisung, fast ausschließlich weiblich besetzt. Zumindest die älteren Lehrerinnen waren unverheiratet, da sie ja ihre ganze Fürsorge den Kindern widmen sollten. Sie wurden auch noch kurz vor ihrer Verrentung respektvoll mit „Fräulein“ angeredet. Es galt weiterhin das „Lehrerinnen-Zölibat“. Nach dieser Vorschrift konnte einer Lehrerin gekündigt werden, sobald sie heiratete. Zumindest verlor sie damit, auch bei Weiterbeschäftigung, jeden Anspruch auf eine Pension. Das schlagende Argument: Sie sei dann ja schließlich durch den Mann versorgt.
- Wenn auch heutzutage gern durch „lustige“, comicartige Figuren überzuckert. Das Internet ist voll von entsprechenden „Hilfsmaterialien“ und Filmchen.
- Füllfederhalter waren oft ein mit Stolz ersehntes Geburtstagsgeschenk zum Eintritt in die dritte Klasse.
- Später nannte man diese wirksamen, wenn auch unausgesprochenen Lernziele im schulischen Ablauf treffend „hidden curriculum“.
- Die Benotung der schulischen Leistungen setzte spätestens im 2. Halbjahr der ersten Klasse ein.
- Die numerale Benotung des Betragens wich allerdings bald einer ausformulierten Beurteilung von Betragen, Lernverhalten und Lernfortschritt.
- So war die „Lateinische Ausgangsschrift“ ab 1953 KMK-verbindlich und löste die Sütterlin-Nachfolge ab. Sie wurde Ende der 1960er abgelöst durch die in Varianten bis heute einschlägige „Vereinfachte Ausgangsschrift“. Noch immer hat die Schrift-Norm einen hohen Stellenwert in der didaktischen Diskussion: „Die Frage nach der geeigneten Schriftart für den Schulanfänger gehört zum Zentrum schreibdidaktischer Überlegungen, da mit der Wahl der Erstschrift die Komponenten des Schreibens, Sinn – Form – Bewegung, unterschiedlich betont und somit Ziele und Verfahren des Erstschreibunterrichts direkt beeinflusst werden.“[G. Schorch, Schreibenlernen und Schriftspracherwerb, Bad Heilbrunn 1995, S. 106, zitiert in der umfangreichen Handreichung des Bayrischen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Materialien zur vereinfachten Ausgangsschrift, München 2003, S. 6. Zu den „Materialien“ siehe auch Anm. 68.]
- Umfangreiche Materialien dazu sind seit den 1980ern zahlreich, namentlich auch von der schon genannten Johanna Barbara Sattler.
- Belege finden sich hier. Zu seiner Linken hingegen vermutet der Volksglaube eher Schlechtes, gar den Teufel.
- [Jonas 4]
- [Jonas 3] Die gesamte Darstellung findet sich im Artikel „Rechts und links“ auf der Plattform „Die Bibel“
- [Prediger 10,2, ebenda] Oft steht in der Bibel die Wendung „rechts und links“ aber auch für „überall“ bzw. negativ „weder nach rechts noch links“ als Warnung vor Abweichung vom rechten Weg. In beiden Kombinationen wird allerdings selbstverständlich „rechts“ zuerst genannt.
- [Buch der Richter 20]
- Zusammenstellung der Bibel-Zitate im Artikel „Linkshänder“ auf der Plattform „Die Bibel“. Eine Gefahr bilden linkshändig geführte Waffen auch für die eigene Truppe. In Schlachtreihen – etwa in der griechischen und römischen Antike oder der preußischen Militärtradition – gefährden Linkshänder die Kameraden, die bedingungslose Disziplin und die dadurch erzielte furchteinflößende Wirkung auf den Gegner. Die Taktik der Schlachtreihe beruht darauf, dass alle zum selben Zeitpunkt „unaufhaltsam“ vorrückend dasselbe machen, man sich dabei nicht gegenseitig (etwa mit Schwert und Schild oder dem Ladestock) behindert und dass keine Lücken in der menschlichen Mauer entstehen.
- Im alten Rom hingegen hob man, wie zahllos bildlich überliefert, zum Gruß locker die rechte Hand, was auch Friedfertigkeit bekundete. Daraus machten dann nach den italienischen die deutschen Faschisten den stramm gestreckten rechten Arm. Aus einer individuellen, freundschaftlich-friedfertigen Geste wurde bei ihnen eine aggressive, militaristisch-hackenknallende, kollektive Unterwerfungsbekundung.
- Im modernen Krieg ist Angst vor Linkshändigkeit wohl nicht mehr angebracht: Drohnen werden beidhändig gesteuert.
- griech. ἀριστερά/ aristera = wörtlich „die Bessere“ [davon abgeleitet: „Aristokratie“, wörtlich: „Herrschaft der Besten“].
- Ebenso wie im Deutschen noch oft der Teufel umschrieben und nicht beim Namen genannt wird (als „Leibhaftiger“, „Gottseibeiuns“ etc.). Im Griechischen durfte übrigens auch das Schwarze Meer nicht mit seiner unheilbringenden Farbe benannt werden und heißt in offiziellen Schriften sogar heute noch oft (wörtlich übersetzt) „das gut beleumundete Meer“ (Εύξεινο Πόντο).
- [Menge-Güthling, Enzyklopädisches Wörterbuch der lateinischen und deutschen Sprache, 15./1965]
- abzuleiten aus mittelhochdeutsch linc = linkisch, unwissend, ungeschickt
- Demnach ist eine sinistre Gestalt finster, unmoralisch und voller böser Absicht. [Ursprung im Lateinischen, siehe oben]
- abzuleiten wahrscheinlich aus indogermanisch (s)leg = schlaff, matt sein
- [Die genannten Beispiele und Ableitungen nach Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Neuausgabe 1986]. Die politische und auch Parlamentsordnung von „rechts“ nach „links“ bildet von ihrer Entstehung her eher einen Sonderfall. Sie entstand im Parlament zur Zeit der Französischen Revolution, wo die royalistischen (königstreuen) Bewahrer rechts, die revolutionär demokratischen Veränderer links saßen. Diese Ordnung wurde dann in Deutschland in der Frankfurter Nationalversammlung übernommen, die im Zuge der Revolution von 1848 entstand und wo sich Fraktionen als Vorläufer von Parteien herausbildeten. Die politische Einordnung von „honorabel, bewahrend“ vs. „bedrohlich empfundene Veränderung“ war sicher auch den im letzten Jahrhundert historisch eher konservativen Lehrkräften sehr „recht“. Versuche, mit Hilfe der verwurzelten wertenden Deutungen der Richtungsbezeichnungen auch politisch „links“ mit „bedrohlich“ und „unverantwortlich“ in Verbindung zu bringen, sind zahllos, aber nicht sonderlich originell. Da historisch auch politisch „rechts“ tatkräftig in Verruf geraten ist, verorten sich moderne, an medialer Wirksamkeit ausgerichtete Politiker und Parteien öffentlich tunlichst „in der Mitte“ und werfen mehrheitsheischend emotional geeignete Stichworte in alle Richtungen.
- „Gelinkte“ Zigaretten waren Ende der 1960er Packungen, die man mit dem Schraubenzieher aus dem Automaten gepolkst hatte, mit dem charakteristischen Loch an der einen Schmalseite.
- analog zu „Tollpatsch“; das ursprünglich wohl aus ungarisch „talpas“ = „breiter Fuß“, dann im deutschen Sprachgebrauch umgedeutet zu „toll“ (noch bis in das 20. Jahrhundert hinein in der Bedeutung „verrückt/ töricht“) + „patschen“ [Wahrig, Deutsches Wörterbuch, und Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 22. Auflage]
- von „Pfote“ (abwertend für die Hand); vielleicht aber auch in Anklang zu Fott, dann wäre „Linksfot“ analog zu „Hundsfott“ (= niederer Schuft), deren sprachliche Ableitung (vom weiblichen Geschlechtsorgan des Hundes) zumindest den Kindern hoffentlich nicht gegenwärtig war.
- Knicks bzw. Diener (= deutliche Verbeugung mindestens des Kopfes) wurden bis in die 1960er Jahre hinein von Kindern als Ehrerbietung gegenüber Erwachsenen, z.B. bei Besuchern, erwartet und entsprechend behavioristisch anerzogen.
- Noch in den 1990er Jahren hatte ein Azubi-Bewerber, der im geschlossenen Raum (besonders im Meister-Büro) nicht seine Mütze abnahm, in einem traditionellen Handwerksbetrieb keine Chance.
- Das konnte auch, bei Nichtbefolgen, schon nochmal mit einer elterlichen Ohrfeige verbunden sein. Die Gabel hält man in Deutschland traditionell in der Linken, das Messer rechts. Amerikanische Spione soll man im letzten Weltkrieg angeblich auch bei perfekten elternhäuslichen Deutschkenntnissen an ihrer Esskultur erkannt haben: US-Amerikaner schneiden nämlich zuerst das Essen, z.B. das Fleisch, in Gänze klein. Sodann legen sie das Messer weg und nehmen zum Essen die Gabel in die rechte Hand.
- basierend u.a. auf der Temperamentenlehre, neuzeitlich differenziert in der Charakterkunde [in einigen Beispielen einführend dargestellt bei Wikipedia, Charakterkunde, und Temperamentenlehre]
- Eva von Rappard, Handschrift und Persönlichkeit, Leipzig 1930, Vorwort. Die Autorin war gerichtliche Schriftsachverständige. Die Schilderung der Graphologie anhand eines Buches von 1930 ist dem Thema geschuldet: Der Entstehung und Begründung der Norm von der „guten“ Schrift im Schulwesen des letzten Jahrhunderts. Eine ausgewogene Beurteilung der heutigen Graphologie findet sich im Artikel von Corinna Hartmann, Zwischen den Zeichen lesen, bei Spektrum.de, 2021.
- [ebenda, S. 9]. Es handelt es sich hier um einen Rückgriff auf die zur Allgemeinweisheit gewordene Neurologie von Möbius, siehe unten, Abschnitt 4.2.2. Mit dem Postulat der Übereinstimmung in den Gehirnfunktionen bekam die Graphologie gleichsam ihre (natur-)wissenschaftliche Legitimation jenseits von Spekulation und Analogiebildung. In jener Zeit wurde „Wissenschaftlichkeit“ faktisch gleichgesetzt mit (physisch begründeter) „Naturwissenschaftlichkeit“. Ein Phänomen, mit dem auch die zeitgenössische Psychologie zu kämpfen hatte, ganz zu schweigen von der Philologie (und nachfolgend der zeitgenössischen theoretischen Physik).
- ebenda, S 14f
- alles aus Rappard, a.a.O., S. 19ff
- [Rappard, S. 237 ff], also ohne Benennung einer tatkräftig-dynamischen Persönlichkeit
- wie oben in 2.3 beschrieben, in der Lehrer-Bewertung also inakkurat, unordentlich und unsauber
- [Rappard, S. 27 f.] Bei gerader Zeilenrichtung zeigt dicke Schrift aber (anstelle der genannten Genusssucht und Materialismus) auch „Energie“ und „Kommando“[dort, S. 25] – ein Schelm, wer in der Kombination dieser Dickschrift-Attribute eine Kritik des preußischen Militarismus entdeckt.
- Das galt für Vertrauensstellungen, etwa beim Umgang mit Geld oder in der Sicherheit ebenso wie für Chefsekretärinnen und Entscheider. Im Zuge von boomendem Personalbedarf und verstärkter Fluktuation ab den 1960ern stellte sich aber allmählich die mangelhafte Trefferquote der graphologischen Gutachten heraus. Daher nahm man zu zwischenzeitlich entwickelten „wissenschaftlichen“ Testverfahren Zuflucht, in großen Firmen zunehmend auch zu mehrtägigen Eignungsprüfungen durch Assessment Center, die ebenfalls vollmundig eine umfangreiche Persönlichkeitsbeurteilung auf wissenschaftlicher Grundlage versprechen. Für Klein- und Mittelbetriebe sind sowohl die damaligen als auch die heutigen Verfahren ohnehin zu teuer.
- Eine ausgewogene Beurteilung der heutigen Graphologie gibt es im Artikel von Corinna Hartmann, Zwischen den Zeichen lesen, bei Spektrum.de, 2021
- noch einmal Rappard, SS. 27 und 31
- Johann Friedrich Herbart, 1776-1841, gilt gemeinhin Begründer der modernen, wissenschaftlich fundierten Pädagogik. Seine heutigen Follower sehen die „autoritäre“, die Lenkung betonende Rezeption seiner Schriften im 19. Jahrhundert als unausgewogen an. Sie führen als Gegengewicht dessen Äußerungen über die Eigenleistung des Zöglings bei der Charakterbildung ins Feld.
- Julius Möbius, 1853 – 1907. Er war berühmt, eine Koryphäe, aber nicht immer unumstritten. Seine aus der Neurologie begründete Auffassung über das Denkvermögen der Frauen im allgemeinen schlug sich 1900 nieder in seiner Schrift „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Das trug ihm in der männlich dominierten Welt Ruhm und nachhaltige Wirkung ein. Bei den Frauen erntete er damit, vermutlich kalkuliert, eher Empörung. Der damalige analoge Shitstorm und eine emotionalisierte Debatte förderten erfolgreich seine Bekanntheit, wenn nicht gar seinen Durchbruch. Seine Begründung des rechtshändigen Schreibens hingegen blieb davon weitgehend unberührt und unhinterfragt.
- siehe Eintrag Stangl, Gehirnlateralisation. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. Einen lesenswerten Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand bietet Clyde/ Fisher, Die Genetik seitenspezifischer Unterschiede im Hirn. Forschungsbericht 2014, Max-Planck-Institut für Psycholinguistik
- siehe auch: Springe, Lehrbuch Psychologie, Glossar: Hirnlateralisation
- etwa bis zur Mitte des 14. Lebensjahres
- Diese „Spezialisierung“ in der Hirnlateration sei allerdings, so die weit verbreitete These, spätestens im 14. Lebensjahr abgeschlossen, siehe oben.
- So der schon genannte Report über den Forschungsstand in Psycholinguistik, Jahrbuch 2014.
- Im Gesundheitswesen hat diese ignorante Grundhaltung in Bezug auf unterschiedliche Eigenschaften des männlichen und weiblichen Körpers schwerwiegende Konsequenzen, namentlich bei Diagnosen und Medikamentierung. Diese Diskriminierung ist erst in jüngster Zeit überhaupt erkannt und zur Sprache gekommen.
- „Schon mit zehn Wochen bewegen die meisten Föten ihren rechten Arm mehr als den linken. Die Verteilung entspricht dabei der bei Erwachsenen: Ungefähr 90 Prozent sind Rechtshänder, und man vermutet in den Bewegungen des rechten Arms beim Fötus den frühkindlichen Vorläufer der Händigkeit. Man findet Lateralisation in den Teilen der Hirnrinde, die mit dem Sprachvermögen in Verbindung gebracht werden, ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel.“[Clyde/ Fisher, Die Genetik seitenspezifischer Unterschiede im Hirn. Forschungsbericht 2014, Max-Planck-Institut für Psycholinguistik]
- Mittlerweile erscheinen handschriftliche Briefe eher kultig wie traditionale Klöppelarbeiten.
- Diese Referate bzw. ihre schriftlichen Abstracts dienten als Grundlage für die dialogische (diskursive) Erarbeitung bzw. Diskussion des jeweiligenTeilthemas in der Seminarsitzung, ihre ausgearbeitete Fassung dann als Leistungsnachweis. Noch Anfang der 1980er Jahre aber sah z.B. die Hamburger Prüfungsordnung auch die Möglichkeit vor, seine Examensarbeit in (leserlicher!) Handschrift abzugeben.
- Vielleicht ist es ausgleichende Gerechtigkeit, dass die normale QWERTZ-Tastatur von PC und Schreibmaschine statistisch die linke Hand etwas mehr belastet als die rechte; Gleiches gilt dann wohl auch für die Auslastung der beiden Daumen bei den Smartphone-Medien. [Bisher gibt es aber noch keine Stimmen, die – analog zu Möbius – deshalb nun eine Verkümmerung der Gehirnleistungen bei Rechtshändern beklagten;-)]
- So wie heute die Schrift insgesamt, zum Glück auch die seit jeher sozial selektive Rechtschreibung , durch audiovisuelle Medien marginalisiert zu werden scheint.
- Das trifft jedoch nicht durchgängig und allgemein zu. So wurde von vielen Lehrkräften in Bayern noch 2003 an der vereinfachten Ausgangsschrift (VA, gängig seit Ende der 1960er Jahre) eine „abgehackte, kantige, unregelmäßigere Schrift (im Vergleich zur LA) und eine sehr breite Schrift kritisiert.“ [Materialien zur vereinfachten Ausgangsschrift, S. 13, s.o., Anm. 21,] Außerdem wurde bei der VA die geringere Anzahl an „Haltestellen“ im Schreibfluss bemängelt, denn „Je mehr Haltestellen innerhalb eines Wortes möglich sind, desto weniger willkürlich ist das Anhalteverhalten beim Schreiben und desto einfacher ist das klare, flüssige, leserliche Schreiben.“[dort S. 11] Die Flüssigkeit der Schrift bleibt da noch immer ein oberes Gebot.
- Stichworte zu den berüchtigten „Verfahren vorgegebener Zeiten“ (VvZ), die den einzelnen Fabrikarbeiter zum Roboter degradierten, sind „RefA“ (ursprünglich „Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung“, heute eine (wirkungs-)mächtige privatwirtschaftliche Vereinigung) und „MTM“ (Methods-Time Measurement), die Arbeitsabläufe des Produktionsarbeiters analytisch in kleinste Einheiten zerlegen (greifen, heben, drehen…), mit Zeitvorgaben hinterlegen und so den Arbeitstakt bestimmen. Die Basis derart konzipierter Fließband-Fertigung sind jedoch möglichst gleichbleibende Fertigungsabläufe immer gleicher Produkte. Henry Ford, „Erfinder“ der Fließband-Fertigung und bekannt für seine launigen Sprüche sowie seine Bewunderung für Hitler, soll gesagt haben: „Sie können mein [Auto-] Modell T in jeder Farbe haben – so lange es schwarz ist“. Damit könnte er heutzutage im globalen Wettbewerb der Autoindustrien nicht mehr bestehen.
- Wissenschaftlich spätestes mit den Studien des M.I.T. zur flexiblen Fertigung in der bedrohlich aufkommenden japanischen Auto-Industrie in den 1980ern, in der praktischen Umsetzung der Erkenntnisse allerdings deutlich verzögert
- Anders gesagt: Das Gewinner-Prinzip des globalen Wandels heißt nicht mehr Produkttreue und Beständigkeit, sondern mit ständigen Neuerungen „First at Market“.
- z.B. durch und im Umkreis von der schon angeführten Johanna Barbara Sattler
- Zusammenstellung durch ChatGPT, Abruf 30.06.2024. Es handelt sich – KI-typisch allgemein und unverbindlich – um vorkommende, mögliche Auswirkungen, keineswegs um Vorlagen für individuelle Diagnosen. Dazu sind die Umstände im einzelnen viel zu unterschiedlich, die physiologischen Grundlagen viel zu ungeklärt und Chat GPT viel zu unzuverlässig.
- Das Gehirn ist in seiner Ausübung von Funktionen und deren Vernetzung offenbar ausbaufähig. So findet bei geübten Profi-Musikern z.B. die Verarbeitung der Musik nicht nur, wie „üblich“, im rechten Teil des Gehirns statt, sondern, mit entsprechender Übung, orchestriert in beiden Hälften.