Warum gibt es an der Ostsee keine so starken Gezeiten wie an der Nordsee?

Die deutschen Küsten an Nord- und Ostsee unterscheiden sich relativ stark, obwohl sie sehr nah beieinander liegen. Der größte Unterschied liegt in den Gezeiten. Während die Nordsee in regelmäßigen Abständen im Schnitt etwa 2,5 Meter steigt und sinkt, gibt es in der Ostsee kaum merkliche Schwankungen. Doch woran liegt das eigentlich und wie kommen die Gezeiten überhaupt zustande?

Ebbe und Flut

Ebbe und Flut gibt es grundsätzlich an allen Küsten der Welt, sogar an großen Seen. An manchen Küsten sind sie allerdings deutlich stärker. Grundsätzlich gilt jedoch immer das gleich Prinzip. Im Rhythmus von etwa je 6,2 Stunden verändert sich der Wasserspiegel: 6,2 Stunden steigt der Meeresspiegel an, ehe er seinen höchsten Stand, das so genannte Hochwasser erreicht. Die nächsten 6,2 Stunden wird der Wasserstand wieder abnehmen, bis er an seinem niedrigsten Stand, dem so genannte Niedrigwasser angelangt ist. So wechseln sich Ebbe und Flut immer im gleichbleibenden Rhythmus ab. Das Zusammenspiel von Ebbe und Flut nennt sich übrigens auch Tide.

Was hat der Mond damit zu tun?

Ebbe und Flut kommen erst durch ein kompliziertes Zusammenspiel verschiedenerer, physikalischer Kräfte zustande. Auf der einen Seite haben wir den Mond. Durch seine Masse wirkt er mit seiner Anziehungskraft auf die Erde ein. Diese Anziehungskraft wirkt immer auf die Seite der Erde, die gerade dem Mond zugewandt ist. Auf der anderen Seite der Erde wirkt die Zentrifugalkraft der Erde, die wegen der ständigen Rotation um sich selbst auftritt. Hinzu kommt die Anziehungskraft der Sonne. Diese ist wegen ihrer enormen Entfernung zur Erde jedoch nur noch halb so stark wie die des Mondes – trotz ihrer großen Masse.

Da die Oberfläche der Erde zu 70% aus Wasser besteht, wirken sich diese Kräfte hauptsächlich auf unsere Meere und Seen aus. Und zwar geschieht Folgendes: Durch die Anziehungskraft des Mondes wird das Wasser auf der dem Mond zugewandten Seite nach Außen gezogen. Dieser so genannte erste Flutberg wird auch Zenitflut genannt. Auf der abgewandten Seite wird das Wasser durch die Zentrifugalkraft und Anziehung der Sonne ebenfalls nach Außen gedrückt. Dieser zweite Flutberg nennt sich Nadirflut. Aus den zwischen diesen beiden Fluten liegenden Gebieten wird das Wasser gezogen, sie erleben zu diesem Zeitpunkt also eine Ebbe. Da die Erde nun aber regelmäßig um sich selbst rotiert und sich die Kräfte somit verlagern, wechseln sich Ebbe und Flut immer im selben Rhythmus ab.

Die Wassermassen machen’s

Aber warum sind die Gezeiten denn nun in der Nordsee so stark und in der Ostsee kaum bemerkbar? Die Antwort liefert der Atlantik. Ein Blick auf die Weltkarte verrät, dass die Nordsee über den Ärmelkanal und das Europäische Nordmeer direkt und offen mit dem Atlantik verbunden ist. Die riesigen Wassermassen des Weltmeers drücken sich durch die Kräfte von Mond, Erde und Sonne direkt an die Küsten Deutschlands.

Die Ostsee hingegen ist beinah ein Binnenmeer. Lediglich in Skandinavien gibt es kleinere Verbindungen zur Nordsee. Da die Gezeiten jedoch nur etwa sechs Stunden benötigen, bleibt nicht genug Zeit, um genug Wasser durch die schmalen Wasserwege zu transportieren. Deshalb machen sich die Gezeiten an der Nordsee mit einem Tidenhub von etwa 2,5 Metern bemerkbar, während die Ostsee nur auf etwa 10-15 Zentimeter kommt.