Eine Schlange am Kreuz in der Kirche? Was soll das bedeuten? – Auch ein Beitrag zum Thema Erziehung
Eine Schlange am Kreuz sieht man tatsächlich in vielen Kirchen. Was soll das bedeuten? Normalerweise erwartet man dort doch einen Jesus am Kreuz, aber keine gekreuzigte Schlange. Sollte die Schlange mit der Kreuzigung bestraft werden? Wollte man lehren, dass auch fiese Schlangen Geschöpfe Gottes seien? Nichts von alledem. In der Bibel ist die Schlange am Kreuz zugleich Symbol der Strafe und der Erlösung. Ja, die Schlange wird dort sogar offiziell mit Jesus am Kreuz verglichen!
Bei näherer Betrachtung erweist sich die Schlange am Kreuz als Beispiel und Gleichnis für ein Jahrtausende altes, mächtiges Prinzip der christlichen Erziehung: Erziehung durch Strafe und Sünde. Im Text geht es um die Frage, welche Bedeutung das Symbol der Schlange am Kreuz in der offiziellen christlichen Religion hat, um ihre Wirkung in unserer Geschichte, um die Erziehung gestern und heute, um Gehorsam, Herrschaft und nicht zuletzt um Krieg.
Vorbemerkung: Hier wird kritisch ein Teilaspekt der christlichen Religion beleuchtet. Kritik bedeutet, dass man erst einmal die zu kritisierende Sichtweise kennt und versteht. Nur so kann Kritik andere respektieren und überzeugen.
Inhalsverzeichnis
- 1 Erhöhung der Schlange im Alten Testament
- 2 Jesus und die Schlange am Kreuz (Neues Testament)
- 3 Zur Kritik der Schlangen-Erziehung
- 4 Alttestamentarisches Erziehungsprinzip im Wandel
- 5 Entstehung des Christentums und historische Bedingungen
- 6 Vertane Chance?
- 7 Erläuterungen, Quellen und weiterführende Links
Wo man die Schlange am Kreuz besichtigen kann
Zunächst: Ja, es gibt sie, ganz offiziell: Bilder oder Reliefs mit einer Schlange am Kreuz – meist an einem Pfahl mit Querstange. Sie finden sich zum Beispiel in der Kirche von Odense (Altarbild). Als Teil des Chorgestühls der Kathedrale von Roskilde. In der evangelischen Kirche in Ehningen (Böblingen). Auch in der Schlosskapelle von Schwerin. Die Kirche von Taubenheim (Kreis Meißen) hat sie sogar groß unter der Kanzel, von der gepredigt wird. In Köln und Reims sowie in vielen alten Bibelillustrationen. Recht bekannt ist auch das Gemälde von P.P. Rubens von ca. 1635 mit diesem Thema. Meist hängen die Schlangen dort an einem Pfahl mit Querstange, einem Gabelholz oder T-Kreuz. Diese gelten jedoch in der Tradition der christlichen Symbolik erweitert ebenfalls als Rettungszeichen.1 Die „Schlange am Pfahl“ ist durchaus übertragen als „Schlange am Kreuz“ anzusehen. Auch das möchte der folgende Text darlegen.
Erhöhung der Schlange im Alten Testament
Die erste Hälfte der Erklärung für die Schlange am Kreuz oder Pfahl findet sich im Alten Testament der Bibel. Dort2 wird berichtet, wie das Volk Gottes in seinem Zug durch die Wüste maulig wurde und nörgelte: über den langen Weg, über die schlechte Versorgungslage: kein Brot, kein Wasser, das Essen sei eklig mager… Daraufhin ließ Gott sein Volk von giftigen Schlangen befallen, und viele Leute wurden getötet. Da wurde den Menschen laut Bibel klar, dass sie gesündigt hatten. Einfach dadurch, dass sie sich gegen Gott und gegen ihren Anführer Moses geäußert hätten. Moses hatte das Privileg, direkt mit Gott zu reden. Er sollte Gott fragen, was zu tun sei. Gottes Antwort war, dass er eine eherne (bronzene) Schlange hoch an einem Pfahl errichten solle. Die Gebissenen sollten diese Schlange am Kreuz „anblicken“ , dann würden sie nicht sterben. Was man dann natürlich auch tat.3
Immerhin also sollten sie die Schlange nicht anbeten – das würde ja auch gegen das Erste Gebot verstoßen4 –, aber doch zu ihr aufblicken. Eine erste Hypothese: Der Anblick dieses abstoßenden Tieres hoch am Pfahl in Kreuzform war offenbar als Sühne gemeint. Zur Strafe für Widerrede gegen Gott und Moses wird man mit dem Tod – hier: tödlichem Schlangenbiss – bedroht. Als Sühne muss man sich unterwerfen und – statt zu Gott? – zur Schlange emporschauen. Schon hinter diesem merkwürdigen alttestamentarischen Bild steckt ein ganzes Erziehungs- und Herrschaftsprinzip.
Das Erziehungs- und Herrschaftsprinzip
Unglück und Plagen als göttliche Strafe anzusehen, war und ist seit jeher Grundstoff jeglicher Religion. Sie hat ihren Ursprung in der Angst. Der Angst vor nicht beherrschten Gefahren der Natur und der Umwelt. Die giftigen Schlangen erscheinen als Gottesstrafe. Folglich fragen sich die Betroffenen sofort, wofür, und finden fix eine Antwort. Der beschriebene Mechanismus war Jahrhunderte lang Grundlage herkömmlicher christlicher Erziehung: Auf falsches Verhalten folgt die Strafe. An ihr erkennt man, dass man falsch gehandelt habe und sich künftig anders verhalten müsse.
Aktion-Reaktion: Erziehung durch Strafe
Das Prinzip dieser Erziehung ist auch als „Aktion-Reaktion“ bekannt. Die Lehre im vorliegenden Fall scheint klar: Man nörgelt nicht, wenn es einem mal nicht so gut geht, schon gar nicht gegen den göttlichen Ratschluss, sondern hält den Mund. Auch wenn man ihn nicht versteht, so wird Gottes Plan doch immer zum eigenen Besten sein. So war es auch hier: Vor und nach dieser Schlangen-Szene lässt Gott sein Volk wieder einmal dessen Feinde besiegen und erschlagen und ihr Land erobern.6 Entbehrung soll demnach durch Überleben und Sieg belohnt werden, lautet wohl die Schlussfolgerung.
Weltliche Herrschaft als göttliche Macht
Als Führer seines Volkes erscheint Moses zugleich als Vermittler zu dessen Gott. Auch den Widerspruch gegen ihn erkennt das Volk in der Bibelstelle als Sünde. Das ist ebenfalls sozusagen der religiöse Normalfall. Die damaligen Pharaonen und die chinesischen Kaiser, später der Papst als Oberhaupt der Kirche und von ihm eingesetzte Kaiser, Könige usw.: sie alle begründeten ihre Herrschaft gegenüber ihrem Volk damit, dass sie Träger, Vermittler und Verkünder eines göttlichen Willens seien. Gegen diesen Willen dürfe das Volk sich nicht auflehnen und folglich auch nicht gegen seine Übermittler. Beiden gegenüber ist Gehorsam geschuldet. Abbild dieser Gesellschaftsordnung im Großen ist nach herkömmlicher kirchlicher Auffassung im Kleinen letztlich die Stellung des Vaters in der Familie. Demnach erscheint der Sinn solcher Schlangen-Abbildungen in den Kirchen recht klar: Die Kirche fordert Gehorsam und Duldsamkeit gegenüber der (gesellschaftlichen und familiären) Obrigkeit ein und droht widrigenfalls drastisch mit göttlicher Strafe. So weit ist die Story von der Schlange am Kreuz sozusagen ein normaler Vorfall zum Thema Religion. Genauer: in ihrer Funktion als Herrschaftsinstrument – im Gegensatz zur Funktion der Religion als Medium der Erkenntnis und Sinngebung7.
Jesus und die Schlange am Kreuz (Neues Testament)
Aber das ist eben nur die eine Hälfte der Erklärung von der Schlange am Kreuz. Die andere Hälfte findet sich im Neuen Testament der Bibel. Also in der ausdrücklichen und ausschließlichen Lehre der christlichen Kirche. Und dort wird es richtig befremdlich. Da heißt es nämlich im Evangelium des Johannes9, „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn [Jesus] erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“
Wie bitte, nochmal genau lesen: Die Schlange, im christlichen Schrifttum Sinnbild der Arglist und Sünde, wird mit Jesus, dem Sohn Gottes, nicht nur verglichen, sondern Jesus soll gleichermaßen wie die Schlange „erhöht“ werden? Will im letzten Halbsatz sagen, „Wer zur Schlange aufblickt, entgeht dem Tode, und ebenso auch, wer zu Jesus aufsieht, erhält das ewige Leben“? Und nebenbei: Beim Teilsatz davor muss man sich auch schon mal fragen, ob die Todesfolter durch Kreuzigung für den Betroffenen wirklich als „Erhöhung“ zu verstehen ist. Und nicht als – wenn auch möglicherweise religiös notwendiges – Erleiden.10
Spätestens hier, im neuen Testament, wird die Erlösung von einer bestimmten Plage, den Schlangen, ausdrücklich zum Sinnbild der allgemeinen, religiösen Erlösung von der Todesangst. Im Umkehrschluss erweist sich der Schlangenbefall eindeutig nicht mehr einfach als eine Plage der Natur oder auch begrenzte Strafaktion, wie sie manchmal halt so vorkommt, sondern als Sinnbild für göttliche Strafe. Todes-Strafe und Todes-Erlösung als Teile des göttlichen Vorgehens, dargestellt in der Verbindung von Schlange und Gottessohn.
Uuhps, ist die christliche Religion vielleicht doch Vielgötterei?
Eine wie Jesus erhöhte Schlange? Oder sogar Jesus erhöht wie die Schlange? Am einfachsten scheint die Sache auf den ersten Blick für den naiv gläubigen braven Moslem zu sein. Ihm schwante schon lange, dass diese Christen eigentlich doch keine richtig Gläubigen sind, die nur einen Gott haben. Sondern insgeheim, verdeckt, mehrere Gottheiten anbeten wie andere Ungläubige auch: Vater, Sohn, Heiliger Geist (keiner weiß genau, wer oder was das sein soll), Jungfrau Maria, diverse Heilige… und jetzt eben auch noch eine Schlange. Kein Wunder! Diese merkwürdigen Christen schrecken doch noch nicht einmal davor zurück, ein blutiges, fast nacktes Folteropfer riesengroß öffentlich zur Schau zu stellen und anzubeten. Und zwar ausgerechnet in ihrer Kirche, dem Ort, wo sie zum innigen, unabgelenkten Zwiegespräch mit dem Allmächtigen Gott finden sollen!
Achtung, liebe:r Leser:in, das war eine klischeehafte Überzeichnung zur Veranschaulichung. Nicht nur gebildete Christen, sondern auch viele kluge Moslems über dem Niveau einer bayrischen Dorfkirche des vorigen Jahrhunderts (sorry, nochmal Klischee/Überzeichnung) wissen jene Dreifaltigkeit sehr wohl zu deuten und zu erklären. Der Koran hat dazu eine klare Position.12 Andere weisen darauf hin, dass es sich dabei – und beim Marienkult – vermutlich wirklich um eine versöhnende Angleichung an die populären göttlichen Dreifaltigkeiten in vorchristlichen Religionen handeln könnte. Diese verkörperten die Grundelemente vieler Religionen: Entstehen, Vergehen und Ewigkeit.13 Bis etwa zum 12. Jh. wurde die Schlangen-Legende und ihre bildhafte Darstellung im Christentum auch eher vermieden.14 – Diese „Erhöhung“ einer nicht-göttlichen Figur, einer Schlange gar, schien im frühen Christentum eher befremdlich. Und man wollte sich bei Freund und Feind eben nicht auch noch dem Missverständnis der Schlangen-Anbetung aussetzen. Zumal die Schlange zu jener Zeit in anderen Religionen eine wichtige Rolle spielte, wollte man da keine Vermischung.
Schwierigkeiten bei der Erklärung der am Kreuz erhöhten Schlange
Für Christen, die ihren Glauben genau erforschen wollen, ist die Deutung der am Kreuz oder am kreuzförmigen Pfahl erhöhten Schlange und vor allem ihre Verbindung zu Jesus wirklich nicht ganz so einfach. Im christlichen Schrifttum hat die Schlange bekanntlich einen ziemlich schlechten Ruf.15 Sie ist in der christlichen Lehre zwar klug, mitunter gar das klügste Tier überhaupt, aber auch listig und gar ungehorsam. Die Schlange verführt im Paradies die Menschen dazu, vom Baum der Erkenntnis über Gut und Böse zu essen. Das aber hatte Gott ausdrücklich verboten. Der verflucht die Schlange daher zur ewigen Feindschaft mit dem Menschen und dazu, fortan im Staub zu kriechen. Und wirklich kann man in einigen Kirchen auch Bilder finden, wo die Schlange vor bzw. während der Verführung noch vier Füße hat. Die Strafreaktion erfolgt ja erst nach der Tat.
Um so spannender bleibt die Frage, warum jene Parallele zwischen der Erhöhung der Schlange und der Erhöhung von Jesus am Kreuz im Neuen Testament gezogen wurde. In einem per Google leider nicht mehr auffindbaren Chat im Umkreis der katholischen Kirche stellt ein offenbar junger Christ fast verzweifelt diese Frage: Wie kann man Gottes Sohn mit der sündigen Schlange vergleichen? Wenn es ein „frommes“ Tier gewesen wäre, etwa ein Lamm, könne er das vielleicht nachvollziehen, aber eine eklige, von Gott verfluchte Schlange?
Die kirchenväterliche Antwort beginnt mit dem Satz „Deine Frage zeigt, dass Du nicht genügend nachgedacht hast“. Das ist die Allzweckwaffe aller Autoritäten: Wenn du an meiner/unserer Wahrheit zu zweifeln wagst, kann das nur an dir liegen. Es liegt keinesfalls an meiner/unserer Verkündung. Du warst nicht willens oder nicht fähig genug, um ausreichend richtig, klug usw. zu denken. Mithin liegt das Problem nicht bei mir und meiner Lehre, sondern bei dir. Wir haben hier sozusagen eine subtilere Form von Aktion-Reaktion vorliegen: Zweifelnde Fragen sind grundsätzlich zu unterlassen, sonst folgt Tadel.
Im Chat folgt sodann etwas umständlich eine Variante der in den christlichen Äußerungen allgemein vorherrschenden Deutung. Jesus habe bei seiner Kreuzigung bekanntlich die Sünden der Menschheit auf sich genommen und sei daher für sie büßend gestorben. Die Schlange versinnbildliche jene Sünde, die durch die Übernahme von Jesus gleichsam gereinigt und damit erhöht werde.
Zur Kritik der Schlangen-Erziehung
Offene Fragen zur Sünde
Auch diese Deutung lässt natürlich noch etliche Fragen offen, wenn sie denn gestattet sind. Offen bleibt dabei z.B. weiterhin, warum die Erhöhung Jesu sich ausgerechnet die alttestamentarische Schlangen-Erhöhung zum Vorbild genommen hätte. Schließlich hätte es ja vielleicht auch noch andere Beispiele und Symbole für die Sünde gegeben. Zumindest rückt dadurch als sinnstiftendes Beispiel für „Sünde“ die murrend aufkommende Kritik gegen Gottes Ratschluss in den Mittelpunkt der Betrachtung, nicht aber handfeste Taten, wie etwa das Erschlagen von Feinden und anderen Menschen.
Natürlich kann dieser Artikel keine vollständige Darlegung des christlichen Glaubens in allen seinen Varianten bieten und allen sich ergebenden Einzelfragen nachgehen.16 Hier ist selber weiterforschen angesagt. Interessante Leitfragen im theologischen Sinne könnten dabei sein:
- Wieso der Tod – der eigene oder der stellvertretende von Jesus – eine Sünde ausbügeln soll, statt zum Beispiel Wiedergutmachung durch gute Taten. Der Sühne-Tod als solcher macht die Welt nicht besser.
- Inwieweit die Menschen ihre zu sühnenden Sünden selbst und selbstverantwortlich verschuldet haben. Ob die Existenz der Sünde nicht vielmehr ebenfalls Teil des allumfassenden göttlichen Plans ist. Ohne Sünde wäre er ja nicht allumfassend, Gott nicht allmächtig. Das heißt auch, inwieweit die Menschen in der christlichen Religion überhaupt die Chance hätten, nicht zu sündigen.17
- Warum es – trotz eventueller „Erbsünde“ oder von Gott vorgesehener Sünde – nötig ist, dass Jesus sich opfert, um die Sünde gegenüber Gott zu tilgen. Braucht Gott das? Er hat auch diese Schuldentilgungsaktion mittels seines Sohnes ja selbst geplant und umgesetzt. Oder brauchen etwa nur seine Kirche und die sie vertretenden Obrigkeiten das ewig währende Schuldgefühl, das permanent schlechte Gewissen, zum Gehorsam?
Die Kritik von Giordano Bruno
Der außerordentlich scharfsinnige Theologe, Philosoph und Wissenschaftler Giordano Bruno hat im 16. Jahrhundert eine Szene geschrieben19, in der die (griechischen) Götter sich darüber beraten, dass die Menschen mal wieder herzlich schlecht, sündig, geworden seien. Einer aus der göttlichen Versammlung schlägt vor, einen Sohn von ihnen auf die Erde zu schicken. Die anderen Götter wenden ein: „Ach ja? Und weil der dann ein paar Wunderstückchen vollbringt wie Wasser in Wein verwandeln, Blinde sehend machen, Lahme gehend usw. – davon sollen die Menschen dann besser werden?“ Und sie verwerfen die Idee nach kurzer Diskussion als untauglich. Giordano Bruno meinte, dass derlei Jesus-Geschichten nur von den wirklich wichtigen Fragen des Glaubens ablenkten. Jesus, für ihn eher ein Guru als ein Gottessohn, bringe alles durcheinander. Die katholische Kirche aber fand das nicht witzig. Nicht zuletzt wegen dieser Ansichten wurde Giordano Bruno im Jahr 1600 lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt.20 – Aktion-Reaktion halt.
Religionskritik der Moderne: Ludwig Feuerbach
In der Moderne nimmt die Kritik an der Religion und ihren Normen grundsätzlichen Charakter an. Einer ihrer herausragenden Vertreter war Ludwig Feuerbach im 19. Jh.21 Für ihn ist der Mensch in Sachen Moral, richtiges und falsches Handeln auf sich selbst gestellt. Das ist für Feuerbach nicht eine Frage der Sünde gegenüber einer Gottheit und deren Regeln, sondern der dem Menschen eigenen Fähigkeit zur Humanität. Die Verwirklichung der Humanität ist für ihn die Selbstverwirklichung des Menschen, nicht die Umsetzung irgendeines göttlichen Willens.22
Mit anderen Worten: Feuerbach lehnt es ab, dass man die Richtschnur richtigen Handelns an eine Gottheit outsourct, etwa mittels Sünde, Strafe und schlechtem Gewissen. Seiner Meinung nach hat der Mensch sich die göttliche Instanz eben wesentlich zu diesem Zweck auch selbst ausgedacht. In heutigen Worten ausgedrückt: Feuerbach sieht „Gott“ als eine Art Avatar der allgemein menschlichen Natur. „Gott“ ist für ihn eine Projektion, ein gedankliches Konstrukt, in dem der Mensch seine Humanität, seine menschliche Natur als gesonderte sich vorstellt, indem er sie gedanklich zum göttlichen Wesen erhöht.
Jene rätselhafte Erhöhung der Schlange und die Erhöhung des „Menschensohns“ erscheinen in diesem Licht als Elemente dieses ideellen Konstrukts. Wenn man eine göttliche Instanz als bloß gedankliche Projektion des Menschen ablehnt, bezieht sich das natürlich auch auf göttliche Strafen (z.B. durch Schlangen), auf eine Unterwerfung unter einen göttlichen Willen (symbolisch z.B. unter eine eherne Schlange am Kreuz) und auf die Notwendigkeit einer Erlösung von der Sünde (etwa durch einen am Kreuz erhöhten Heiland).
Feuerbachs Folgerung: Der Mensch sei selbst verantwortlich. – Nicht um moralisch beliebig ein Schwein zu sein, sondern um aus sich selbst heraus und in sich das Richtige zu finden: „Ich bin nur dann Mensch, wenn ich aus mir selbst das Menschliche tue, wenn ich die Humanität als die notwendige Bestimmung meiner Natur… erkenne und ausübe.“23 Feuerbach ist in seiner philosophischen Tradition überzeugt, dass die Humanität, das moralisch richtige Handeln, gleichsam in der Natur des Menschen selbst begründet sei. Sein berühmtester Kritiker, Karl Marx, bezweifelte hingegen als Anti-Idealist auch die Existenz einer allgemeinen, geschichtsübergreifenden „menschlichen Natur“.24
Jedenfalls lässt sich die Suche nach Humanität/Menschlichkeit und moralisch richtigem Handeln weder an eine Gottheit noch gar an eine Kirche delegieren. Das heißt auch: Eine Drohung durch göttliche Strafe und ein schlechtes Gewissen gegenüber einem Gott sind damit als Mittel der Lenkung und Erziehung hinfällig.
Alttestamentarisches Erziehungsprinzip im Wandel
Klassisches Erziehungsideal
Zur Zeit der Entstehung des Christentums war das alttestamentarische Prinzip Aktion-Reaktion, Gehorsam und Strafe, keineswegs vorherrschend. Die Erziehung der griechischen Jugendlichen etwa setzte in den verschiedenen philosophisch-wissenschaftlichen Schulen und Bildungseinrichtungen Athens eher auf personale Bindung mit Vorbildwirkung, Belehrung über das Gute-Wahre-Schöne, dialektische Durcharbeitung von Widersprüchen und auf die Ermutigung, Fragen zu stellen.25 Diese Prinzipien wurden im Römischen Reich übernommen, das zur Zeit von Jesus Westeuropa und den Orient beherrschte. Allerdings beruhte die Gesellschaftsordnung in Griechenland und dem Römischen Reich auf Sklavenwirtschaft. In ihr bezog sich eine planvolle Erziehung faktisch nur auf die männlichen Sprösslinge der herrschenden Klassen (Adlige, reiche Kaufleute und aus ihren Reihen stammende Politiker)26, die frei von jeglicher Notwendigkeit zur Arbeitsdisziplinierung waren.
Schlangensymbol und Erziehung in der geschichtlichen Entwicklung
In späteren Jahrhunderten, als das Christentum Staatsreligion in den europäischen Reichen geworden war, galt hingegen das alttestamentarische Ideal von Folgsamkeit und Strafe zunehmend unbeschränkt. Insbesondere im aufkommenden Industrialismus wurde es zum herrschenden, die gesamte Gesellschaft durchdringenden Prinzip. Damals mussten zunächst auch Erwachsene mittels Arbeitshäusern an die Disziplin durchstrukturierter, arbeitsteiliger Fertigungsprozesse gewöhnt werden. Und nachfolgend bestimmten in den europäischen Nationalstaaten sowohl die maschinendominierte Industriefertigung die Produktion als auch die allgemeine militärische Mobilisierung die Staatsstrukturen und begründeten Befehl und Gehorsam als alles durchdringende Basis der Gesellschaft.27
Geschichtliche Durchsetzung der Schlange-Kreuz-Symbolik
Die Abbildung der ehernen Schlange hat geschichtlich eine analoge Entwicklung genommen:
Schlangen-Symbolik im Altertum
Zunächst, im Frühchristentum, herrschte generell eine ablehnende Haltung zur Abbildung des Schlangensymbols vor, und damit auch jener Schlangen-Szene im Alten Testament. Mehr noch: Im Römischen Reich gab es damals parallel einen sehr populären und einflussreichen Schlangen-Kult, der sich vielfach auf Fruchtbarkeit und Sexualität bezog. Er beruhte auf mythologischer Tradition, wurde aber auch bewusst inszeniert.28 Dagegen musste sich das aufkommende Christentum natürlich scharf abgrenzen. Eine in der Bibel erhöhte Schlange durfte mit dem heidnischen Symbol der Fruchtbarkeit und seinen religiösen Riten nichts gemein haben. Diese Konkurrenz erklärt vielleicht die Verzögerung und Zurückhaltung, mit der die Schlange am Kreuz in den Ursprungs-Kanon der christlichen Bilder aufgenommen wurde. Mit dem Römischen Reich ging dann auch der Schlangen-Kult endgültig unter. Damit entfiel ein Grund, in der Schlange lediglich die Verführerin im Paradies zu sehen. Allerdings waren zu der Zeit die Grundlagen der christlichen Religion schon lange festgelegt: Durchsetzung einer einheitlichen christlichen Glaubensauffassung in zahlreichen Debatten und Spaltungen, Festlegung der endgültigen Bibeltexte ca. 400 n. Chr. usw.
Von mittelalterlicher Königsherrschaft zur industriellen Disziplin
Erst im Mittelalter, mit dem Erstarken feudaler, christlich begründeter Herrschaftsstrukturen, nahm die Wahrnehmung und Darstellung der erhöhten Schlange im Christentum zu, besonders im 12. bis 14. Jahrhundert. Etwa im 16. Jahrhundert, am Vorabend der Industriegesellschaft und des Kampfes der zentralisierten europäischen Königreiche um die Vorherrschaft, wurde dann auch die explizite Symbolik des T-Kreuzes oder Gabelkreuzes mit Schlange vorherrschend.29 Die Kombination von Unterwerfung mit Schrecken (durch Aufblicken zur Schlange) und allgemeiner Erlösung (durch die erweiterte Kreuz-Symbolik) verlor gleichsam ihre theologischen Skrupel.
Unterwerfung und Fortschritt im Widerstreit
Im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert gewann in den führenden Industrienationen jedoch die Erkenntnis an Boden, dass technische Erfindungen, Innovation und Problemlösung zum entscheidenden Motor für wirtschaftliche Überlegenheit wurden. Auch die Kriege wurden zunehmend durch technische Mittel wie Panzer und Flugzeuge entschieden. Dieser technische Fortschritt wurde insbesondere durch das Bürgertum mit seinen Ingenieuren, Erfindern und globalen Kaufleuten vorangetrieben und verlangte Lösungskreativität statt Vollzugsgehorsam. Besonders in deren Gymnasien gab es seit dieser Zeit wiederholt reformpädagogische Ansätze. Sie stellten jenes Erziehungs- und Lenkungsprinzip von Gehorsam und Strafe immer wieder in Frage.30
Von der Reformpädagogik zum Züchtigungsverbot
Erst diese reformpädagogischen Ansätze stellten wieder das individuelle Fördern von Neigungen und Interessen in den Vordergrund. Wissen, Verstehen und Intelligenz gewannen an Gewicht gegenüber der Reproduktion von Fakten und Lehrsätzen und der Unterwerfung unter Autoritäten. Als harter Kern von „Aktion-Reaktion“ war jedoch die Prügelstrafe, die „körperliche Züchtigung“, weiterhin bis über die 1960er Jahre hinaus in allen Schichten gegenwärtig. Sie wurde in Haus, Schule und betrieblicher Ausbildung als Mittel der Erziehung für unumgänglich und notwendig angesehen.31 Erst vor 20 Jahren, mit dem Durchbruch der postindustriellen Informationsgesellschaft, fast 100 Jahre nach dem Aufkommen der Reformpädagogik, wird das Schlagen von Kindern zu einem Straftatbestand32.
Entstehung des Christentums und historische Bedingungen
Jesus lebte in Judäa, einer wie üblich teilautonom regierten Provinz des Römischen Reichs im heutigen Nahen Osten, vertreten durch dessen „Statthalter“. Etwas weniger religiös verklärt kann man die Kreuzigung Christi auch als Hinrichtung eines Rebellen verstehen, der die staatliche Ordnung in Frage stellte, beginnend mit der Autorität der regional herrschenden Priesterkaste. Der gegen soziale Hierarchie, für die Gleichheit aller Menschen aus allen sozialen Stellungen – von Paulus bis zur Prostituierten – auftrat. Er wies darauf hin, dass Gewalt (das Schwert) wieder Gewalt hervorbringt35, und trat für eine pazifistische Grundhaltung ein. Das reichte. Insbesondere für die regionalen Herrschaftsstrukturen und ihre Vertreter, die „Priester und Schriftgelehrten“, die sich ernsthaft bedroht fühlten. Sie wussten, im Gegensatz zur religiös eher pragmatisch-oberflächlich ausgerichteten römischen Herangehensweise, um die potenzielle Kraft der Religion.36 Nicht nur ihre, sondern vordem auch die Macht der ägyptischen Pharaonen hatte auf religiöser Grundlage beruht und war mit ihr gebröckelt.
Kosmopolitische Grundgedanken…
Zudem forderte die Lehre des Jesus nicht nur die Einhaltung von oft formell gewordenen Regeln ein, sondern eine empathische, von Mitgefühl geleitete Grundhaltung zu allen Menschen. Und zwar unabhängig von Stand, Stammesherkunft oder Sprache. Sie richtete sich damit auch nicht begrenzt an eine bestimmte Volksgruppe oder ein bestimmtes Staatsvolk. Damit war das Christentum – vom ursprünglichen Grundgedanken her – die erste Religion37 in der westlichen Welt, die die innere Einheit ihrer Religionsgemeinschaft oder auch der eigenen staatlichen Organisation nicht durch Abgrenzung herstellen sollte. Nicht dadurch, dass sie sich feindlich zu einer Außenwelt der anderen, Nichtzugehörigen bzw. Nichtgläubigen definierte, sondern durch alle Grenzen überschreitende Liebe. Mithin kann man Jesus (in dessen aramäischer Muttersprache das Wort für Gott übrigens „Allah“ lautet)38 in unserem Kulturkreis als ersten Stifter einer vom Anspruch her völkerübergreifenden Weltreligion ansehen.
… und ihr realgeschichtlicher Hintergrund
Das ist kein Zufall, sondern gründet sich auf gesellschaftlichen Wandel. Genauer: auf die Herausbildung großer, zentralisierter, einheitlich verwalteter Reiche. Zum einen gab es diese Entwicklung im alten Ägypten mit der Stärkung des Pharao gegenüber der Priesterkaste, die die verschiedenen Gottheiten im Lande behütete. Daraus entstand die Tendenz zum Monotheismus (Glaube an nur einen Gott), auch über die jüdische Glaubensgemeinschaft hinaus.
Zum anderen im nachfolgenden Römischen Reich. Das Römische Reich ist in unserem Kulturkreis wohl der erste gelungene Versuch, nicht nur mehrere Stämme zu einem Verbund zusammenzuschließen, sondern (natürlich, wie bis heute üblich, meist unter Gewaltanwendung) sogar eine völker-, kultur- und sprachübergreifende Staatsorganisation mit regionaler Differenzierung zu schaffen. Von Britannien über Germanien und Spanien bis nach Nordafrika und den Nahen Osten! In Kategorien des letzten Jahrhunderts39 ausgedrückt: so etwas wie einen internationalen Staat. Auch Paulus berief sich bekanntlich bei seiner Verhaftung darauf, römischer Bürger zu sein und wollte damit, unabhängig von seiner „Nationalität“, nach einheitlich römischem Recht behandelt werden.40
Vertane Chance?
Zunächst fand die christliche Lehre mit ihrer Botschaft der herkunfts-unabhängigen, übergreifenden Gleichheit und Nächstenliebe (ähnlich dem Buddhismus41) Zulauf vor allem bei den sozial Benachteiligten. Überregional verbreitete sie sich besonders stark unter Sklaven, aber auch freien Frauen. Entsprechend wurde sie im Reich bekämpft, ihre Anhänger verfolgt und getötet.
Erst Jahrhunderte später entdeckte man den Nutzen, wenn man jene Religion als Staatsreligion vereinnahmte: Der (Römische) Kaiser und später die europäischen Könige erhielten ihre Legitimation nicht mehr von adligen, oft rivalisierenden Machtgruppen. Sondern sie waren nun unanzweifelbar durch den allmächtigen Gott selbst eingesetzt! Gott selbst, und nicht nur das Staatsoberhaupt, forderte nun Folgsamkeit und Gehorsam ein. Gott selbst drohte mit Strafe bei Ungehorsam! Die Belohnung für Gehorsam und Entsagung durfte der Untertan hingegen nicht vom Oberhaupt erwarten, sondern er wurde diesbezüglich auf Gott und das Jenseits verwiesen.
In der Etablierung des Christentums zur Staatsreligion setzte sich nicht nur das Prinzip Aktion-Reaktion in Erziehung und Umgang mit der Bevölkerung entfesselt durch. Vielmehr wurden im Namen Christi bekanntlich unzählige Kriege gegen den jeweils äußeren, selbstverständlich ungläubigen Feind geführt und so die Welt erobert. Zur dazu notwendigen Disziplinierung der Eroberer und der Eroberten dürfte die Drohung mit der Schlange am Kreuz einen Beitrag geleistet haben.
Erläuterungen, Quellen und weiterführende Links
Anlass zu diesem Artikel: Bild der Schlange am Kreuz, geposted in Social Media mit der Unterschrift: „Jaaa, kreuzigt sie!!“ an andere Schlangen-Phobiker.
- Siehe unten. Dabei bleibt das christliche Kreuz in seiner „Originalversion“ natürlich stets ehrfürchtig Christus selbst vorbehalten
- [Fundstelle im Alten Testament (Fassung Lutherbibel): 4. Mose 21, 14-15 ]
- [Die offizielle Interpretation dieser Bibelstelle im Alten Testament findest du unter anderem in „Bibel verstehen“]
- [Die Zehn Gebote in angemessen modernem Wortlaut findest du auf der Website „Jugendopposition in der DDR“, Die zehn Gebote des Alten Testaments]
- Eines von vier Bildern an der Frontseite (Stipes) des Hauptaltars, unter dem dreiflügeligen Altaraufsatz. Ort: St. Knuds-Kirche, Odense (Dänemark), .
- Solche Szenen gibt es zahlreich im Alten Testament. Viele dieser Kriegsschilderungen sind so brutal, dass sie, verfilmt, heutzutage umgehend auf dem Index für Jugendgefährdung landen dürften. Siehe als Beispiel auch das letzte Bild des vorliegenden Artikels, „Bekämpft die Midianiter und schlagt sie!“
- Die Bibel, namentlich das Alte Testament, legitimiert an vielen Stellen explizit (königliche oder kaiserliche) Herrschaft. Die Herrscher waren realiter aber keineswegs durchweg durch Salomons Weisheit geleitet, z.B. „Den Königen ist Unrecht tun ein Gräuel; denn durch Gerechtigkeit wird der Thron befestigt.“ [Sprüche Salomons, Kap. 16, Vers 12, Lutherbibel] Zur Funktion der Religion für Erkenntnis und Sinngebung gibt es hier auf Cosmiq mehrere Artikel, z.B. „Warum gibt es Religionen“. Und zum Thema Religion und Weltanschauung ein vergleichender Blick auf den Islam/
- Roskilde ist die ehemalige Hauptstadt Dänemarks. In seiner Kirche befinden sich die aufwändigen Grabstätten der dänischen Könige. Diese erheischen bei ihren Besuchern auch heute noch häufig mehr Aufmerksamkeit und Bewunderung als die religiösen Darstellungen um sie herum. Ein Beispiel dafür, wie Religion nachgerade zur Kulisse und Mittel der weltlichen Macht-Inszenierung werden kann. Das Bild ist dort Teil des Chorgestühls von 1420.
- [Fundstelle: Joh 3, 14.15]
- Wir erinnern uns: Laut Bibel war die Schlange am Kreuz aus Bronze, Jesus aber aus Fleisch und Blut, also Schmerz empfindend.
- Kirche in Sao Pedro do Sul. In dieser Kirche befinden sich mehrere Marien-Bilder, aber nur eine seitlich angebrachte Darstellung von Jesus am Kreuz. Maria wird hier, wie auch in anderen Kirchen der Region, wohl von Putten/Engeln (zum Himmel?) getragen, was eine Analogie zu Christi Himmelfahrt nahelegt. Die „Bevorzugung“ der Mutter Maria – sie ist Leid empfindende, empathisch Schmerz verstehende Mutter, die allein von Anfang an frei von Sünde ist und so zum Himmel aufsteigt – gegenüber Christus, der am Kreuz an die Sünde gemahnt und sie auf sich nimmt, nach Vorsehung getötet, wenn auch auferstanden, weniger menschlich verstehend als vielmehr Folgsamkeit und Bekenntnis fordernd: Diese Verehrungshierarchie ist in vielen Kirchen Südeuropas bildlich zu beobachten.
- „Christus Jesus, der Sohn Marias, ist doch nur der Gesandte Gottes und sein Wort, das Er zu Maria hinüberbrachte, und ein Geist von ihm. So glaubt an Gott und seine Gesandten. Und sagt nicht: Drei.“ [Koran 4:171] Denn Gott ist einzig. Nur er hat keinen Anfang und daher auch kein Ende: „Er [Gott] hat nicht gezeugt, und Er ist nicht gezeugt worden.“ [Koran 112:3] Das unterscheidet ihn von Jesus. Im Frühchristentum gab es neben der heutigen (so genannten nicäischen) Auffassung der Dreifaltigkeit (Einheit von Gottvater, Gottes Sohn und Heiligem Geist) auch die Lehre des Arianismus. Die lehnte die Dreifaltigkeit ab: Das widerspreche dem Prinzip des Monotheismus, also dem Axiom von einem einzigen, ungeteilt allmächtigen Gott ohne Anfang und Ende. Jesus sei göttlich, aber nicht Gott in diesem Sinne. Diese Auffassung war damals unter Christen aller hierarchischen Stufen und Schichten weit verbreitet. Die Auseinandersetzung zwischen „Nicäern“ und „Arianern“ um die Dreifaltigkeit bestimmte die innerchristliche Diskussion vor allem im 4. Jahrhundert. Letztlich fand die arianische Position jedoch nicht genügend staatliche Unterstützung, um sich durchzusetzen. Das schlagendste Gegenargument der Nicäer: Wenn Jesus nicht Gott sei, könne er die Menschen nicht erlösen. – Und was, so kann man fragen, wäre dann noch das Besondere an der christlichen Religion?
- In den hinduistischen Religionen etwa teilt sich die göttliche Einheit Brahman (zunächst) in Brahma (Erschaffung), Shiva (Zerstörung/Neuentstehung) und Vishnu (Erhaltung) mit jeweils zahlreichen Untergliederungen. Während in den christlichen Religionen Gott die Menschen extra so geschaffen hat, dass sie ihn erkennen können, ist dies im hinduistischen Glauben nicht der Fall: In Bildern und einer unendlichen Vielzahl von göttlichen Gestalten versucht man sich der prinzipiell allumfassenden, unfassbaren Gottheit zu nähern – und weiß doch, dass es sich nur um Aspekte des Göttlichen, um Modelle seitens des unzureichenden menschlichen Verstandes handelt. „Hinduismus“ ist dabei ursprünglich eher ein kolonialistisch-arroganter Sammelbegriff für eine Jahrtausende alte, reichhaltige und verflochtene Welt verschiedener Religionen und Traditionen, die z.T. bis in die Steinzeit zurückreichen. [Einen kurzen Einstieg in die Gottgestalten des „Hinduismus“ bietet u.a. eine Yoga-Werbe-Website, und kurzweilig-vergnüglich, dennoch klug, ein Audio-Vortrag auf Vedanta Yoga.de.]
- Mehr dazu im letzten Abschnitt. Zur Umgehung der Schlangen-Legende und des Schlangen-Gleichnisses im frühen Christentum siehe: Ursula Diehl, Diss. 1956.
- Zur Rolle der Schlange in der Bibel findet sich ein Überblick in „Bibelwissenschaft“
- Es gibt eine Vielzahl von oft ähnlichen Auslegungen auch für die Schlangen-Erhöhung, die aber in bezug auf die Frage auch nicht durchweg erhellend sind. Ein fast willkürlich herausgegriffenes Beispiel für eine Auslegung mit aktuellem Bezug bietet etwa die Pfarrei der Erlöserkirche Bamberg, Mai 2020
- Der offizielle Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) von 1997 verneint das in Artikel 8, Die Sünde, Nr. 1870 mit einem Bibelzitat: „Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen (Röm 11,32)“. Dem zufolge ist die Sündigkeit aller Menschen Teil des göttlichen Plans. Zum Thema Rolle und Konzeption der Sünde im christlichen Glauben siehe auch den Cosmiq-Artikel über Die Gegenteile zu den Sieben Todsünden.
Sehr viel schärfer und grundsätzlicher hat bereits vor Entstehung des Christentums der griechische Philosoph Epikur dieses Thema gefasst: Gibt es göttliche Regeln und Strafen für die Menschen? Seine Antwort: Nein, weil Götter mit dem Leben der Menschen nichts zu tun haben. Götter sind nämlich vorbildlich vollkommen, die Menschen nicht. Die verbringen z.B. viel Zeit und Energie damit, Reichtum anzuhäufen, sich gegenseitig zu übervorteilen und umzubringen. Wenn man sagt, die Götter würden in das Leben der Menschen eingreifen, unterstellt man ihnen strenggenommen „unfromm“ Unvollkommenheit. Dazu ist von Epikurs späterem Römischen Follower Lactantius das Epikureische Paradoxon überliefert: Gott will entweder die Übel abschaffen und kann es nicht; oder er kann es und will es nicht; oder er kann es nicht und will es nicht; oder er will und kann. Wenn er will und nicht kann, ist er schwach, was nicht dem Wesen Gottes entspricht. Wenn er kann und nicht will, ist er neidisch, was ebenfalls nicht mit Gott übereinstimmt. Wenn er weder will noch kann, ist er neidisch und schwach, also auch kein Gott. Wenn er will und kann, was allein Gott entspricht, woher kommen dann die Übel und warum schafft er sie nicht ab? Unter anderem deswegen hat auch die christliche Kirche Epikur nie gemocht: Schuldlosigkeit gegenüber Gott, Leben nach selbst gesetzten ethischen Regeln musste für sie in „schweinischem“ Verhalten enden. [umfassend und lohnend: Carl-Friedrich Geyer, Epikur zur Einführung, Junius: Hamburg2000; der zitierte Gedanke dort auf S. 129] - Die Herkunft des Bildes ist unbekannt. Unter anderem findet sich eine Abbildung davon ausgerechnet auf der offiziösen Website Bibel verstehen.
- Diese Szene von Giordano Bruno findet man in der spannenden Rowohlt-Monografie von Jochen Kirchhoff, Giordano Bruno, Reinbek 1980. Einen Einstieg zu diesem Buch und zu der noch immer unterschätzten, weil zu allen Autoritäten nicht-konformen historischen Person bietet ein Artikel von dessen Autor im Spiegel-Print-Archiv.
- Die mildere Variante dieser Strafe war, dass der Henker – etwa gegen eine großzügige Spende der Angehörigen – das Opfer kurz vor dem Anzünden der Flammen erwürgte. Diese „Gnade“ wurde Giordano Bruno ausdrücklich versagt.
- Eine zusammenfassende Darstellung der Feuerbach’schen Philosophie und Religionskritik findest du sehr schlicht und verkürzt z.B. auf der Website Geschichtsinfos Die Zusammenfassung hier und die nachfolgenden Zitate orientieren sich aber an einer differenzierteren Darstellung auf Narabo. Die wurde dort aber leider mittlerweile gelöscht, wohl zugunsten der mundfertigeren Blog-Mode. Das Original: Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, 1841.
- „Wo aber der Mensch den Grund seiner Humanität außer sich hat in einem, wenigstens seiner Vorstellung nach, nicht menschlichen Wesen [also einem Gott], wo er also aus nicht menschlichen, [sondern] aus religiösen Gründen menschlich ist, da ist er eben auch noch kein wahrhaft menschliches, humanes Wesen.“
- Dieses Zitat und das der vorangehenden Anmerkung bilden eine zusammenhängende Passage bei: Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion, Berlin 1981, S. 240. Das Zitat ist aus dem klugen Artikel „Menschenbilder der Moderne“ von Aydın Süer übernommen [bei bpb.de, Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE.]
- Die Überzeugung Feuerbachs, dass die Humanität in der menschlichen Natur selbst liege, entstammt seiner Verwurzelung in der idealistischen Philosophie von Platon bis Hegel. Der junge Marx hat diese idealistische Wurzel einer umfassenden (Selbst-)Kritik unterzogen: [„Die deutsche Ideologie“ in MEW 3. Dazu gehören ebenda auch seine berühmten, zur Selbstverständigung geschriebenen Feuerbachthesen]. Marx‘ Gedanken gehen ungefähr so: Ein wie immer geartetes allgemein menschliches Wesen, eine allgemeine Natur des Menschen, ist ebenfalls eine idealistische Fiktion. Es ist auch nur ein gedankliches Konstrukt, eine Projektion des Menschen in den Himmel, wie die von Feuerbach kritisierte. Für Marx gibt es also nicht „den Menschen“ als solchen, sei er nun im Wesen gut oder böse, sondern nur unterschiedliche, konkrete Individuen, die aus jeweils konkreten historischen Situationen und sozialen Gegebenheiten heraus handeln. Die jeweiligen Bedingungen und „Spielregeln“ der Gesellschaft bestimmen ihr Handeln und sind Ausgangspunkt für ihre Einstellungen und Meinungen. Das heißt, stark vereinfacht, auch: Eine humane, menschliche Gesellschaft(sstruktur) erleichterte es den Menschen, menschlich sein zu wollen und zu werden. – Und umgekehrt: Inhumane Verhältnisse fördern und bestätigen inhumanes Verhalten (z.B. nach der Maxime „Jeder muss sehen, wo er bleibt“). Die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse gründen sich für Marx unter anderem wesentlich auf das Prinzip der Konkurrenz jeder gegen jeden, auf die Herrschaft ökonomischer Macht, auf die Abhängigkeit der Menschen in der Produktion bzw. in der Erwerbsarbeit und auf das schrankenlose Streben nach Reichtums-Vermehrung auf Kosten anderer. Also auf eine Gesellschaft, wo die Verwirklichung von Menschlichkeit den Marktgesetzen und ihren allgegenwärtigen Zwängen zum ökonomischen/zweckrationalen Handeln unterworfen bleibe (u.a. dem Zwang zum geschäftlichen Gewinn und zur Expansion bei Strafe des Untergangs). Das ist für Marx erst einmal eine schlechte Basis für die Verwirklichung humaner Prinzipien.
Andererseits ist entgegen seinem stalinistischen Framing festzuhalten, dass Marx keineswegs zum Vernichtungskampf gegen die Religion aufrief – etwa mit dem Zitat, Religion sei „das Opium des Volkes“. Vielmehr meinte Marx, dass die religiöse Verklärung sich durch die Verwirklichung einer humanen Gesellschaft von selbst erübrige, weil sie nicht mehr als Trost benötigt werde – „Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur…“, so der unterschlagene Satzanfang jenes vielzitierten Schnipsels aus seiner Jugendzeit [MEW 1]. Marx war nicht vom Rauschgiftdezernat oder der amerikanischen DEA, sondern er kritisierte die sozialen Ursachen der Erlösungssehnsucht und die religiöse Betäubung des Volkes durch die jeweilige Obrigkeit. „Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.“ [ebenda] Demnach bedeutet die Existenz von Religion immer auch eine realexistierende Kritik an den realen Verhältnissen; das Verbot oder die Unterdrückung von Religion bedeutet demnach das Eingeständnis, dass die Menschen eben durch die Zustände „bedrängt“ sind und daher der Illusion bedürfen. Marx teilte seine Religionskritik im Ansatz übrigens mit vielen anderen Denkern vor ihm (z.B. Heinrich Heine, de Sade, Rousseau, Goethe).
[Als anregenden Einstieg in das Verhältnis Feuerbach-Marx siehe Georg Spoo, zum Opium-Zitat wikipedia]. - Das klassisch griechische Erziehungsideal wird exemplarisch deutlich in den von Platon aufgezeichneten Dialogen des Sokrates und bei Platons Schüler Aristoteles. Einen bis heute nachwirkenden Grundgedanken darin formulierte Platon in etwa so: Wer das Gute-Wahre-Schöne kennt: wie sollte der denn nicht danach streben? Das war für ihn undenkbar. Niemand würde doch freiwillig das Schlechte anstreben, höchstens dem vordergründigen Reiz nachgeben, wenn er es nicht besser weiß. Mithin ging es in der Erziehung wesentlich um die nachhaltige Vermittlung eben jener Werte. Für den Idealisten Platon waren etwa ökonomische Zwänge, daraus resultierende Machtverhältnisse und egoistische Interessen lange Zeit sekundär. Und auch noch für seinen Schüler Aristoteles war z.B. Sklaverei unabdingbare Voraussetzung für Kultur, „so lange sich der Stoff nicht von alleine webt…“, wie er sagte. Also ungeachtet der kriegerischen „Eroberung“ von Sklaven beiderlei Geschlechts und ihrer terroristischen Disziplinierung. [Eine Darstellung dieser klassischen Ansätze der Werte-Erziehung findest du z.B. in Bertrand Russell, Philosophie des Abendlandes, 2. Auflage Zürich 2009. Ausführlicher, aber auch anspruchsvoller für die grauen Zellen: Ernst von Aster, Geschichte der Philosophie, diverse Auflagen. Hier bei Cosmiq findest du einen weiteren Zugang zur griechischen Antike, Gesellschaftsordnung und Krieg mit einem Beitrag über die Komödie Lysistrata des Aristophanes und einem anderen über die Kriegsanalyse des Thukydides mit Schilderung der Sklaveneroberung sowie einem Anhang über die Gesellschaftsordnung in Athen].
- Der wohlhabende römische Bürger ließ dabei seine Söhne bevorzugt von gebildeten griechischen Sklaven unterrichten. Betuchtere Patrizier Roms schickten sie gar als Heranwachsende gleichsam zum Auslandsstudium auf eine der Schulen in Athen, die dort aus den diversen klassisch-griechischen philosophischen Communities bzw. Lehren hervorgegangen waren.
- 1870, am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges, beschloss die katholische Kirche dann sogar die Unfehlbarkeit des Papstes. Resultat des Krieges war übrigens die Gründung des Deutschen Reiches. Das Deutsche Reich wurde danach geradezu der Inbegriff, das Symbol für das Prinzip von Befehl und Gehorsam, das die Gesellschaft, von der Kinderstube bis zur kaiserlichen Regierung, in allen Bereichen inhaltlich bestimmte und sozial strukturierte.
- Die Symbolik des Schlangen-Gottes steht in der griechischen Mythologie in mehreren Gestalten für Fruchtbarkeit und gerne auch für die angeblich göttliche Abstammung von Kaisern (Modell war die Legende über die Zeugung von Alexander dem Großen). Die kultische Verehrung der Schlange war daher besonders in der unmittelbaren nachchristlichen Zeit weit verbreitet und beliebt. Auf dieser Grundlage wurde im 2. Jahrhundert sogar geschickt ein Schlangen-Gott Glycon inszeniert und vermarktet. Er löste einen wahren Hype bis in die herrschenden Kreise Roms aus. Darüber hat sich damals der geistreiche syrisch-griechische Satiriker Lukian detailliert lustig gemacht. Er beschreibt, mit welchen Mitteln und Elementen zwei Marketing-Genies diese Schlangen-Bewegung geschaffen und sich selbst sozial nach oben gearbeitet haben. Das liest sich erschreckend modern: das Branding einer Pappmaschee-Schlange mit sorgfältig ausgearbeitetem Narrativ, kreativ konstruierten „Fakten“, perfekt inszenierten Ritualen und eingeschworener Glaubensgemeinde, basierend auf der Gier nach einfacher Gewissheit.
Der althergebrachte mythologische Schlangen-Kult wurde von Adelskreisen noch Jahrhunderte lang als „Konkurrenz“ zum sich verbreitenden Christentum gefördert, als göttliche „alternative Wahrheit“ auch gegen die mittlerweile christlich gewordenen Kaiser. Die griechisch-römische Kult-Schlange hat sich übrigens über Umwege bis heute im Berufszeichen der Ärzte erhalten: dem Aeskulap-Stab. - Ausführlich dargestellt in der bereits angeführten Dissertation von Ursula Diehl, Die Darstellung der ehernen Schlange von ihren Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, Diss. 1956. Hier findet sich auch eine differenzierte Beschreibung der verschiedenen kreuzähnlichen „Pfähle“ und ihr jeweiliger Bezug zur christlichen Symbolik
- Eine wunderschöne Auseinandersetzung mit dem Erziehungsprinzip „Aktion-Reaktion“ bietet unter anderem der französische Spielfilm „Die Kinder des Monsieur Mathieu“. Die Folgen dieses Prinzips in Familie und Gesellschaft veranschaulicht der vielfach preisgekrönte deutsche Spielfilm „Das weiße Band“ von Michael Hanecke
- Noch 1966 konnten Heranwachsende über ihre bevorstehende Ausbildungszeit lesen, „Man ist [als Lehrling] weitaus der Jüngste im Betrieb, und alle haben das Recht, dem kleinen ‚Stift‘ etwas anzuschaffen [d.h. den Lehrling herumzukommandieren, ihm zu befehlen]. Und wenn er nicht sofort springt, gibt es unter Umständen sogar eine Ohrfeige.“ – „Den … Lehrmädchen … geht es übrigens auch nicht viel besser. Höchstens im Hinblick auf die Ohrfeigen. Mädchen zu schlagen … geschieht … sehr viel seltener.“ Diese Einschränkung dient als Überleitung zur anschließenden Ermahnung an die Buben, keine Mädchen zu schlagen, weil dies „ja ausgesprochen unfein“ sei. Die Textpassage stammt aus dem damals mit 20 Auflagen maßgeblichen Aufklärungs-Buch für Jugendliche, „Woher kommen die kleinen Buben und Mädchen“ von Kurt Seelmann (S.18f.). Der Autor war anerkannter Erziehungsberater, Psychotherapeut und Lehrer/Schuldirektor. Er und sein Buch galten seinerzeit als ausgesprochen „progressiv“. Auch in den Schulen waren Schläge mit Stock oder Hand als Bestrafung, z.B. für schlechte Leistungen bzw. „Faulheit“, bis in die 1970er Jahre hinein verbreitet.
- Das Verbot der „körperlichen Züchtigung“ und ein Recht auf gewaltfreie Erziehung wurde erst mit der Neufassung des §1631, Abs. 2, des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im November 2000 festgeschrieben. Einen Wendepunkt in der deutschen Kindererziehung markiert vielleicht das Lied „Kinder (sind so kleine Hände)“. Es ging Ende der 1970er Jahre viral und machte die vordem faktisch nur in oppositionellen DDR-Kreisen bekannte Bettina Wegener schlagartig auch im Westen populär. Offenbar traf der Text systemübergreifend einen zentralen Nerv und rührte generationengemischte Zuhörerschaften zu Tränen.
- Das Reliefbild findet sich mit Erläuterung auf einer auch sonst kirchenhistorisch interessanten Website jener Kirche von Ehningen
- Unter dem Mantel des Religionsstreits ging es im Dreißigjährigen Krieg zwischen den verschiedenen Königshäusern realiter eher um die Vorherrschaft in Europa, bzw. im Ergebnis um dessen Aufteilung in Einflusszonen. Dabei wurde das Geschäftsmodell systematisiert: Refinanzierung des Krieges durch Eroberung und Plünderung. Systematisch pressten die Söldnertrupps den örtlichen Einwohnern Geld/Wertgegenstände für die Ausrüstung sowie Nahrungsmittel/Ernte-Erträge für die Truppen-Ernährung ab. Damit ernährte und finanzierte die Truppe sich selbst. Gewalt gegen die Zivilbevölkerung war nicht mehr nur Begleiterscheinung, sondern sie wurde zum unabdingbaren, systemischen Bestandteil der Kriegsstrategie. Damals ging es darum, für größer angelegte Kriege auch größere Söldnerheere über längere Zeit unterhalten zu können. Als Protagonist dieses Systems kann Wallenstein gelten. Er propagierte diese Strategie ganz offen als sein Erfolgsrezept. Das Modell findet auch heutzutage wieder vielerlei Anwendung. Denn mit ihm können auch regionale Kriege mit nur geringem Anfangskapital länger und mit größeren materiellen und menschlichen Ressourcen geführt werden – bis nichts mehr zum Plündern da ist oder eroberte Rohstoffquellen und/oder Sponsoring die Finanzierung sichern. Zugleich bietet diese Art der outgesourcten Kriegsführung ein materielles Anreizsystem vor allem für Warlords bzw. Armeeführer (ehedem „Feldherren“). Die wirklichen Herrscher und Nutznießer (etwa regionale und globale Großmächte) können hingegen bei diesem Vorgehen selbst im Hintergrund bleiben und jenen Truppenführern die Durchführung und das Risiko des Kriegs überlassen. Zuvor, im Mittelalter, war der Tod auf dem Schlachtfeld für Könige noch ein statistisch relevantes Berufsrisiko.
- Matthäus 26 : 52: „Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen“. Aktuelle Bezugnahmen dazu findest du u. a. auf der Sprichwort-Plattform.
- Als populäre Bibel-Erzählung findet sich diese Konstellation in Form der bekannten Auseinandersetzung zwischen dem römischen Statthalter Pilatus und den örtlichen Hohepriestern samt organisierter Volksdemo [Matthäus 27. 20-26]: „Ich wasche meine Hände in Unschuld„.
Die religiöse Toleranz des römischen Vielvölker-Staates fand ihr Ende, indem die römischen Kaiser zunehmend für sich Verehrung als Gottheiten einforderten. Das war mit den christlichen Glaubensprinzipien/Geboten („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“) unvereinbar. Besonders Kaiser Nero nahm das persönlich. Und als in der eng mit Mietskasernen bevölkerten Stadt Rom ein verheerender Brand ganze Stadtteile vernichtete, nutzte er die Gelegenheit. Nach altbewährtem Rezept fand er in den Christen mit ihren fremden, geheimnisumwitterten Riten und Versammlungen den geeigneten Sündenbock. Und so triggerte er 64 n.Chr. die erste große Christenverfolgung in Rom. Durch staatlich inszenierte Pogrome und Tötungs-Shows mit ausgewählten Grausamkeiten bot er der allgemeinen Angst und Wut ein Ventil. Damit konnte Nero laut Tacitus von dem schnell aufkommenden, bezeichnenden Verdacht ablenken, dass er den Brand selbst angeordnet habe, zusagen als Beginn einer radikalen neuen Stadtplanung. Die dazu bereitgestellten Gesetze wurden auch von seinen kaiserlichen Nachfolgern genutzt, um die fremdreligiösen Christen, die subversiverweise den Kaiser nicht als Gottheit anerkannten, zu verfolgen, zu foltern und zu töten. Im generalisierten Verfolgungs-Edikt des Diokletian fand diese Politik schließlich knapp 250 Jahre später ihren brutalen Höhepunkt. - genauer: zusammen mit dem ideengeschichtlich verwandten Buddhismus, siehe Anmerkung 41.
- Die Herkunft der diversen Ursprungs-Texte der Bibel als „Wort Gottes“ und auch deren Sprache ist kompliziert und bis heute religiös leidenschaftlich umstritten. Ist zum Beispiel Aramäisch eine Sprache Gottes, „nur“ weil Jesus halt diese im einfachen Volk verbreitete Sprache sprach? Oder hat die originäre Gottessprache nicht doch eher Griechisch zu sein, die damalige Sprache der Gebildeten? – Für Laien und Heiden ist das eine eher amüsante Battle, für ihre Verfechter ist es bitterernst.
- genauer, den Kategorien des 18. bis 20. Jahrhunderts: damals galt „Nation“ als politischer Leitbegriff, entgegen aller Herkunft und Zusammensetzung der meisten Staaten. Dass der Begriff „Nationalität“ alles andere als einfach und natürlich gegeben ist, erschließt sich auch, wenn man den diversen Versuchen durch die Geschichte folgt, ihn eindeutig und allgemeingültig zu definieren und anzuwenden.
- „civis Romanus sum“/ „Ich bin römischer Bürger“. Das brachte dem jüdischen Organisator der christlichen Kirche vielleicht letztlich immerhin die relativ humane Todesstrafe durch das Schwert ein, statt wie Jesus qualvoll gekreuzigt zu werden. Später wurden Christen – unabhängig von ihrer „Nation“ – im Rahmen ihrer Verfolgung in Rom auch bevorzugt im Zirkus von Löwen zerrissen. Oder sie dienten, wie unter Nero, dem Kaiser als lebende Fackel. [siehe Anm. 36]. [Weiterführend zum Römischen Bürgerrecht siehe Wikipedia: Civis Romanus sum]
- Es gibt viele Vermutungen und Hinweise, dass Jesus durch den damals bereits ca. 500 Jahre alten, in Asien verbreiteten Buddhismus beeinflusst wurde. Zwischen China /Südostasien und dem Römischen Reich gab es vielfache Handelsbeziehungen mit personellem Austausch, allerdings vielleicht auch die Übertragung einer Pocken-Pandemie. Anregungen und spekulative Hinweise zu Jesus‘ Beeinflussung durch den Buddhismus bietet Die Bibel nach Biff, ein vergnüglich zu lesender historischer Roman von Christopher Moore.
- Nein, diese göttliche Aufforderung zu Terror und Krieg stammt nicht aus dem Koran, sondern aus dem Alten Testament: 4. Mose 25. Dabei gilt das Totschlagen ausgerechnet mit einem Schweinekiefer im Alten Testament übrigens als besonders herabwürdigend für das Opfer. Dass die Männer des Gottesvolkes auch Frauen anderer Stämme im Krieg töteten, ist im Alten Testament nicht einzigartig oder besonders verachtenswert.
- ebenda. Dort wird ein Einzelfall – feindliche Frau und eigener Krieger werden in flagranti erwischt – verallgemeinert und somit das Vorgehen der midianitischen Frauen als planvolles, anfänglich durchaus erfolgreiches Handeln dargestellt, das den kriegerischen Gegenschlag erforderlich mache.
Eine planvolle, regelrechte Anti-Kriegs-Strategie der Frauen ist uns hingegen aus dem antiken Athen überliefert. Interessanterweise verfolgten die Frauen dort dasselbe Ziel mit genau entgegengesetzter Taktik: nicht durch sexuelle Annäherung, sondern durch sexuellen Generalstreik. Dazu findest du hier bei Cosmiq jetzt einen eigenen Artikel: Lysistrata: Frauen gegen den Krieg. In ihm wird diese krasse Geschichte geschildert, die damals und auch noch zweieinhalb Jahrtausende später in der Bundesrepublik für höchlichste Erregung sorgte. Als geschichtlichen Hintergrund für Lysistrata gibt es auch einen eigenen Artikel über den Peloponnesischen Krieg mit erschreckend vielen Parallelen zum aktuellen Krieg in der Ukraine.